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Übertragung des Dharma im Westen

Ein Interview mit S.H. Drikung Chetsang Rinpoche

Seine Heiligkeit Drikung Chetsang Rinpoche ist das amtierende Oberhaupt der Drikung Kagyü Schule. Er kommt seit 14 Jahren immer wieder in den Westen und nach Deutschland. Im vergangenen Sommer gab er in Aachen, wo die Drikung Kagyü Schule ein großes Stadtzentrum (DBU-Mitgliedsgemeinschaft) besitzt, einen großen Einweihungszyklus. Yesche U. Regel wollte von ihm wissen, wie diese Einweihungen zur Übertragung des Tibetischen Buddhismus in den Westen beitragen und mit welchen Risiken und Nebenwirkungen zu rechnen ist.

Lotusblätter (LB): Sie sind nach Aachen gekommen, um den Zyklus der Kagyü Ngag Dsö-Initiationen zu geben. Was ist die Bedeutung und der Grund dafür, diese Einweihungen zu erteilen?

Seine Heiligkeit (SH): Das Kagyü Ngag Dsö ist die Hauptsammlung der Texte und Belehrungen der Kagyüpa Schule. Es handelt sich um eine ungebrochene Übertragung, die für den Tibetischen Buddhismus von großer Bedeutung ist. Vom Ursprung bis heute gibt es eine ununterbrochene Übertragungslinie. Diese Linie übermittelt auch einen Segen. Ist die Übertragung einmal unterbrochen, dann kann die Einweihung nicht mehr erteilt werden. Die Übertragung muß immer von einem Lehrer an einen anderen Lehrer weitergeben werden. Als Oberhaupt der Drikung Kagyü Schule empfinde ich eine gewisse Verantwortung dafür, diese Einweihungen weiterzugeben. Das ist das eine.

Zweitens ist der Dharma nun in den Westen gekommen. Ihr habt hier vor 30, 40 Jahren damit angefangen. Es ist also bedeutsam, diese Übertragungen in den Westen zu bringen und sie nicht nur in traditionellen Klöstern zu pflegen. Hier wird die Einweihung wie eine öffentliche Belehrung erteilt. Auch hierzulande haben Menschen ja bereits verschiedene Einweihungen erhalten. Wenn jemand seine Samayas gebrochen haben sollte, dann lassen diese sich durch die Einweihung wiederherstellen, und man erfährt verschiedene Nutzen dabei, eine Art Reinigung. Man erhält den Weisheitssegen der Buddhas und kann seine Samaya erneuern. Viele nützliche Dinge geschehen durch die Einweihungen.

Aus diesem Grund möchte ich die Kagyü Ngag Dsö-Initiationen auf jedem Kontinent geben. Vorletztes Jahr gab ich sie in Asien, in Taiwan, im letzten Jahr gab ich sie in der Nähe von Washington in den USA. Dieses Jahr geschieht dies nun hier in Europa, in Aachen, und demnächst möchte ich sie auch in Südamerika geben.

LB: Sie sprachen soeben von Samaya. Könnten Sie erläutern, was Samaya bedeutet und welche Samaya mit diesen Einweihungen verbunden sind?

SH: Samaya ist die geistige Verbindung und Verpflichtung, die sich aus einer Vajrayana-Einweihung ergibt. Wenn man eine Einweihung erhält, dann werden all jene, die in dasselbe Mandala eingeweiht werden, zu Vajra-Brüdern und -Schwestern. Dann ist es wichtig, keine negativen Anschauungen mehr übereinander zu entwickeln, vor allem darf man nicht gegeneinander kämpfen. Geschieht dies trotzdem, dann ist dies genauso schwerwiegend, wie das geistige Band (Samaya) zum Lama, zum Meister, zu zerbrechen. Das beeinträchtigt dann auch den Lama, so als ob man ihm Schaden zugefügt hätte. Derlei Probleme können auftreten. Wenn man einen Lehrer hat, ist es gut, Einweihungen immer wieder zu nehmen und dann die Verbindung rein zu halten. So können die Samaya wiederhergestellt werden.

Samaya ist ein Sanskrit-Begriff. Auf Tibetisch spricht man von Damtsig.

LB: Sind die Menschen, die gekommen sind, um diese Einweihungen zu erhalten, hauptsächlich Schüler der Drikung Kagyü Linie und besitzen von daher bereits eine Verbindung und Vorbereitung, oder kann jeder einfach teilnehmen?

SH: Jeder kann die Einweihungen erhalten. Es ist einfach eine Übertragung. Jeder, der Buddhismus praktiziert, ist willkommen. Es gibt nichts Besonderes oder Ernstes zu bedenken. Möchte hingegen jemand wirklich die entsprechenden Praktiken ausführen, dann sieht die Angelegenheit etwas anders aus. Das hängt vom Einzelnen ab. Man kann die Einweihungen auf verschiedenen Ebenen erhalten. Dann wäre auch das Samaya ein anderes. Ganz ernsthaften Schülern kann ein Lehrer dann auch mehr geben. Anfänger und Neu-Interessierte erhalten einfach einen Segen durch diese Einweihungen.

LB: Es scheint, daß es vor einiger Zeit für Anhänger des Tibetischen Buddhismus mehr darum ging, Einweihungen zu erhalten als heutzutage. In den 80er Jahren wurden von den tibetischen Rinpoches auch wesentlich mehr Initiationen erteilt als heutzutage. Heute scheinen die Menschen etwas vorsichtiger mit dem Nehmen von Einweihungen geworden zu sein. Es gab ja auch in einigen tibetischen Schulen Glaubens- und Vertrauenskrisen aufgrund politischer Vorkommnisse, so daß die Menschen sehr zurückhaltend wurden mit dem Eingehen von Verpflichtungen und damit, sich ganz einer Schule und einem Lehrer anzuvertrauen. Haben Sie auch solche Veränderungen wahrgenommen und was denken Sie darüber?

SH: Mir ist das nicht aufgefallen, aber ich denke, daß es gut ist, wenn die Leute etwas vorsichtiger geworden sind, weil sie keine Samaya verletzen möchten. Das Vajrayana muß man mit großer Sorgfalt praktizieren. Heutzutage ist alles sehr frei, und es gibt sehr unterschiedliche Lehrer. Diese sollte man erst einmal beobachten und gut prüfen. Besonders für die Verwirklichung sehr hoher Lehren wie Mahamudra benötigt man einen guten, qualifizierten Lehrer. Man muß also erst gut prüfen. Denn dann wird das Samaya besonders wichtig. Man muß es sehr beschützen.

Nur dadurch, daß man das Samaya rein hält, können gute Schüler innerhalb des Bardo Erleuchtung finden, mittelmäßige können in sechs Lebenszeiten zur Erleuchtung gelangen, die schlechtesten werden 16 Leben benötigen. Wenn man eine Einweihung erhalten hat, kann der Segen durch das Einhalten der Samaya ständig zunehmen, aber wenn das Samaya gebrochen ist, kann das nicht geschehen. Dann fällt man in die Vajra-Hölle. Es ist also gut, wenn die Menschen gut über das Samaya nachdenken, auf das sie sich einlassen. Wer seine Samayas rein hält und sich immer wieder gründlich prüft, wird schneller Ergebnisse hervorbringen.

LB: Vajra-Hölle klingt wirklich schlimm. Ein anderer Lama beschrieb es so, daß man die Vorteile des Samaya verlieren kann. Was bedeutet hier ‚Hölle‘? Ist es ein Bereich, in dem man lebt oder ist es eine geistige Verwirrung oder Krankheit?

SH: Hier wird sehr negatives Karma reif. Man verliert, was man bekam. In der Vajra-Hölle kommt das ganze negative Karma zum Vorschein. Man ist dann von der Erleuchtung sehr weit entfernt.

Das Samaya besteht darin, 14 Wurzel-Gelöbnisse einzuhalten. Sie betreffen vor allem die Lehrer-Schüler-Beziehung und sind sehr wichtig.

LB: Ist die Idee, die hinter den Übertragungen steht, auch die, daß es Menschen gibt, die die Tradition fortsetzen und sich gleichzeitig damit selbst verwirklichen, oder geht es hauptsächlich um die historische Aufrechterhaltung einer Tradition? Wie wird es mit dem Vajrayana weitergehen? Erwarten Sie, daß Westler in der Zukunft die Vajrayana-Lehren selbst übermitteln? Denken Sie, daß Westler zu echten Vajrayana-Buddhisten werden und daß sie so große Fortschritte machen, daß sie in den Genuß der Früchte und Verwirklichungen kommen?

SH: Das Vajrayana wird auch der ‚Weg der Frucht‘ genannt. Das Bodhisattvayana nennen wir den ‚Weg der Ursachen‘. Warum? Im Vajrayana arbeiten wir mit Lehren, die sich direkt auf die Natur des Geistes und seine Verwirklichung beziehen.

Die Vajrayana-Praxis umfaßt verschiedene Aspekte, wozu Einweihungen und die Aufbauphase der Meditation gehören. Eine Initiation umfaßt vier Ebenen der Einweihung, die jeweils tiefer wirksam sind. Die vierte Einweihung wird beispielsweise die Mahamudra-Einweihung genannt. Sie betrifft die Natur des Geistes. Wenn jemand weiter fortgeschritten ist, dann bedeutet dies, daß sie oder er eine gewisse Ansammlung an Praxis aus früheren Leben besitzen muß. Erteilt man so jemandem diese Einweihung, dann könnte hier spontan die Natur des Geistes erkannt werden. Wenn man die Natur des Geistes erkennt, dann hat man die Einweihung tatsächlich erhalten. Nur eine Vase auf den Kopf zu halten bewirkt nicht wirklich eine Übertragung.

Die Aufbauphase der Meditation beginnt mit dem Sobhawa-Mantra, dem Leerheits-Mantra. Dann visualisiert man sich selbst als eine Gottheit, also als einen Buddha-Aspekt. Hierbei denkt man nicht an seine gewöhnliche Form mit Haut, Knochen, Fleisch und Blut etc., sondern sieht sich in der Gestalt einer erleuchteten Gottheit. Eine solche Gottheit besitzt keine gewöhnliche Form. Sie repräsentiert die Natur des Geistes. Wenn man das versteht, dann ist man der Natur des Geistes sehr nah.

Viele denken, daß der Buddha von ihnen weit entfernt ist, vielleicht irgendwo in einem Himmel. Wenn du dich in deinem gewöhnlichen Körper wahrnimmst, dann schafft dies eine zu große Distanz und verhindert, daß du die Buddhaschaft erreichen kannst. Willst du die Buddhaschaft erlangen, dann mußt du einen Weg finden, um diese Distanz zu überbrücken. Für diese Art von Arbeit benötigt man die Einweihungen. Daraufhin kannst du die Visualisation einer Gottheit praktizieren. Du nimmst dann die Gestalt des sogenannten Samaya-Körpers an. Wenn dann im Ritual die Formel „Dsa Hung Bam Ho“ ausgesprochen wird, verbindet sich der Samaya-Körper mit dem Weisheitskörper. Während man sich als Gottheit visualisiert, könnte man denken, daß nun zwar der Geist so erscheint, aber man selbst ist doch nicht wirklich so. Der Geist ist immer noch wie gewöhnlich. Durch die Aufbauphase, die Visualisation, vermeidet man die Anhaftung an das Gewöhnliche. Darauf kommt es hier an. Denn solange man den Geist für gewöhnlich hält, kann man nicht seine wahre Natur erkennen. Deshalb lädt man mit „Om Ah Hung“ die Weisheits-Gottheit ein und verschmilzt diese mit dem Samaya-Körper, also der visualisierten Form. Hat man dann immer noch Zweifel, kann man die Einweihungs-Gottheiten einladen, die fünf Dhyani-Buddhas, die dann zur Reinigung eine weitere Einweihung erteilen. All dies muß durchgeführt werden, um gründlich mit dem eigenen Geist zu arbeiten und die Natur des Geistes zu erkennen. Da gibt es viele Schritte, die auf dem Hintergrund vieler tiefgründiger Lehren gezeigt werden.

LB: Das klingt, als sei der Vajrayana eine sehr technische Angelegenheit. Anders als im Zen oder den Theravada-Übungen, wo auf die stille sitzende Meditation so großer Wert gelegt wird, benutzt man offenbar sehr viele technische Hilfsmittel, um die Buddha-Natur ans Tageslicht zu bringen.

Es soll doch auch eine Prophezeiung geben, die sagt, daß der Vajrayana zu einer Zeit besonders wirksam sein wird, in der die Verwirrung und die leidvollen Gefühle stark zugenommen haben, was heute zweifelsohne eingetreten ist. Heute leben wir aber auch in einer Zeit der Technik. Maschinen wie Computer bestehen aus sehr viel Technik.

Ich hatte kürzlich eine Erfahrung. Als ich vor meinem Computer saß, lagen auf der einen Seite die ganzen Handbücher, die beschreiben, wie man einen solchen PC bedient, und auf der anderen Seite lagen buddhistische Handbücher, in denen detaillierte Anleitungen für die tantrische Meditation enthalten sind. Da sprang mir ins Auge, wie sehr sich diese ähneln. Hier wird einem gesagt, wie man eine Maschine bedient, und dort stehen die Meditationsanleitungen. Die Ähnlichkeit besteht in dem Detail und der Subtilität der Anweisungen.

Könnte es deshalb sein, daß der Vajrayana, obwohl er eine sehr alte Tradition ist, doch der Mentalität der Menschen von heute sehr nahe kommt? Könnte es deshalb sein, daß es deshalb heutzutage Menschen gibt, wenigstens einige, für die diese Art von Praxis besonders geeignet ist?

SH: Was die Prophezeiungen betrifft, so sprechen wir vom Zeitalter des Niedergangs. Je später wir in dieser Epoche sind, desto effektiver wird der Vajrayana als ein Mittel, die Erleuchtung zu erlangen. Der Drikung-Meister Jigten Sumgön sagte, daß sich Ursache und Wirkung, also das Karma, zu dieser Zeit beschleunigen. Ob man heilsam oder unheilsam handelt, die Wirkungen werden bereits in diesem Leben erfahren. In früheren Zeiten, so sagt man, wuchs das Karma so langsam wie Gras. Nun wächst es viel schneller. Das Ergebnis von guten oder schlechten Handlungen zeigt sich bereits im selben Leben. Viele denken über Karma so, daß das, was sie jetzt erleben, in einem früheren Leben verursacht worden ist. Oder sie handeln negativ und denken, daß sie dann im nächsten Leben eine Rückwirkung erleben werden. Man denkt so, aber tatsächlich wird das Karma noch in diesem Leben reif. Das macht dieses Leben sehr schnell. Wenn man in diesem Zeitalter Vajrayana praktiziert, dann bekommt man auch sehr schnelle Ergebnisse innerhalb kurzer Zeit. Es gibt tatsächlich solche Prophezeiungen.

Ein anderer Grund für das, was in den Prophezeiungen vom Vajrayana gesagt wird, könnte darauf zurückzuführen sein, daß der Tibetische Buddhismus sozusagen die Theravada- und die Mahayana-Tradition in sich trägt und zugleich sehr systematisch ist. Es gibt eine Vielzahl an Praktiken, die sehr systematisch und detailliert sind.

LB: Also begegnen sich hier sozusagen Technologie und Meditationspraxis. Technologie dient vor allem dem materiellen Fortschritt, aber hier geht es um die spirituelle Entwicklung!

SH: Ich empfinde die Entwicklung im Westen als sehr gut. Es gibt hier viele gut ausgebildete Menschen. Die Technologie macht vieles möglich. Verglichen mit dem, was im Osten geschieht, halte ich die westlichen Menschen für fähiger, auf eine tiefgründige Weise zu praktizieren. Die Menschen im Osten, die Tibeter zum Beispiel, praktizieren der Reinigung wegen und um Verdienste anzusammeln. Sie machen gerne Pujas und praktizieren auf dieser Ebene. Ich denke, daß die Westler tiefer in die Praktiken eindringen können. Ich sehe, daß das sehr gut ist.

LB: Es gibt einige westliche Praktizierende, die vom Buddhismus zuerst die Vajrayana-Praxis kennengelernt haben. Vielleicht nahmen sie zuallererst sogar Einweihungen und schlossen sich dann einem tibetischen Zentrum an. Erst später stellten sie dann fest, daß sie kein gutes Verständnis der Grundlagen des Buddhismus besaßen. Heute sind sich aber die Schulen des Buddhismus sehr nahe gekommen; sie alle haben ihre Ableger in jedem Land und in jeder Stadt. So können die Menschen verschiedene buddhistische Richtungen ausprobieren. Manche entdecken dann nach einer Zeit der Vajrayana-Praxis, daß sie lieber für eine Weile nur stille Meditation im Sinne des Theravada-Vipassana oder des Zen üben wollen, um einfach direkt ihren Geist zu betrachten.

Was halten Sie von solchen Entwicklungen?

SH: Hier im Westen scheint man alles wie Shopping betreiben zu können, sogar die buddhistische Praxis. Man kann überall hingehen und scheint einfach alles tun zu können. Das ist eigentlich eine gute Sache. Es gibt verschiedene Menschen und sie befinden sich auf unterschiedlichen Entwicklungsstufen.

Ich glaube aber, daß der Tibetische Buddhismus seine Grundstrukturen aus sehr alten Texten schöpft. Manche sind über tausend Jahre alt und sie werden immer noch verwendet. Einige New Age-Leute haben das ziemlich missverstanden und eigene Lehrmethoden entwickelt, die von den ursprünglichen abweichen.

Zen gibt es im Westen schon seit langem. Dort haben sich schon neue Methoden der Vermittlung für den westlichen Geist entwickelt. Im Tibetischen Buddhismus werden aber immer noch die alten Methoden verwendet. Diese sind dann manchmal etwas schwierig zu verstehen. Vielleicht erwähnen die Texte bestimmte Vogelstimmen wie die des Kalapinka-Vogels oder Pflanzen wie die Kumuta-Blume. Aber heute weiß niemand mehr etwas darüber.

Ich glaube, daß die tibetischen Lehrmethoden verändert werden müssen. Nicht die Lehren selbst! Wenn Lamas beispielsweise noch vor einiger Zeit Einweihungen erteilten, dann erklärten sie nicht viel dazu. Sie lasen einfach die Texte vor. Das genügt aber nicht. Sie haben die Grundlagen nicht erklärt.

Ich glaube, ich muß einmal ein Buch schreiben, mit detaillierten Erläuterungen, wo all diese Begriffe sorgfältig erläutert werden. Die Westler möchten nämlich die Details sehr gerne kennenlernen. Man erklärte sie ihnen aber bisher nicht ausreichend. Und so könnte man denken, daß der Tibetische Buddhismus etwas sehr Anspruchsvolles ist und nur von Gelehrten verstanden werden kann. Die Lamas lehren auf einer hohen Ebene, erklären aber die Details nicht ausreichend.

Zum Beispiel müßte man erläutern, was ein Rosenkranz (tibetisch Trengwa) ist und wie man ihn verwendet. Man kann erklären, wie oft man etwas damit wiederholt, zu welchem Anlaß man ihn verwendet, wozu er nicht da ist – es gibt so viele Details darüber. Dies betrifft auch die verschiedenen Gebetstexte. Da gibt es viele Details und wenn man diese versteht, dann hat man mehr davon, sie zu rezitieren. Und das gilt nicht nur für komplexe philosophische Texte, sondern auch schon für einfache Praktiken wie die Verbeugungen. Um zu wissen, wie man diese ausführt, benötigt man einfach Erklärungen zu allen Details.

LB: Sie besuchen nun den Westen bereits seit 1987. Sehen Sie hier, daß eine positive Entwicklung stattfindet? Empfinden Sie, daß Fortschritte gemacht werden und daß sich der Buddhismus in eine gute Richtung entwickelt?

Hätten Sie noch einige Warnungen oder auch gute Ratschläge für unsere Leser?

SH: Seit ich reise, beobachte ich positive Entwicklungen. Sowohl in den sogenannten hoch entwickelten Ländern als auch in den Entwicklungsländern gibt es in diesem Bereich ein Wachstum. Natürlich werden auch Fehler gemacht. Aus ihnen muß man lernen, wie ein Kind, das beim Laufenlernen immer wieder hinfällt, um dann auch wieder aufzustehen. Die Basis ist okay, und viele machen es gut.

Wichtig wäre, daß man einen guten Lehrer findet, den man zuerst sorgfältig auswählt. Die Suche ist heute relativ einfach. Man hat dafür viele Kommunikationsmittel wie das Internet oder das Telefon. Das war früher anders. Man prüft zuerst den Lehrer, und wenn man sich einmal entschieden hat, hält man die Verbindung, das Samaya, rein.

Redet nicht schlecht voneinander! Beim Buddhismus geht es vor allem um eine innere Realisation und Reinigung. Deshalb sollte die Praxis auch nach innen wirken. Besprecht deshalb nicht soviel Unnötiges mit anderen Leuten. Es gilt vor allem, den eigenen Körper, die eigenen Worte und den eigenen Geist zu beobachten. Dann hat man wenig Probleme.

LB: Herzlichen Dank für alle Ihre Antworten.

Das Gespräch wurde von Yesche U. Regel im Juli 2000 in Aachen für die Lotusblätter geführt

Aus Rundbrief 1/2001