Phagmodrupa

Kurze Biografie von Drikung Kyobpa Jigten Sumgön

Der Erhabene Jigten Sumgön war ein Buddha in menschlicher Gestalt, der im zwölften Jahrhundert in Tibet erschien, um die Absicht und das Ziel der unermesslichen und tiefgründigen Lehren des Buddha zu erklären. Sein Erscheinen wurde eindeutig von Buddha Shakyamuni in vielen Sutras und Tantras vorhergesagt. Wenn der richtige Zeitpunkt kommt, äußert sich durch verschiedene Verknüpfungen von Ursachen und Bedingungen großer Segen auf diese Weise.

PhagmodrupaDer Geist des Erhabenen Jigten Sumgön war ungewöhnlich tiefgründig und klar, selbst als er sehr jung war. Einmal rezitierte sein Vater das Manjushrinamasangiti. Nur durch das einmalige Hören prägte der Erhabene Jigten Sumgön es sich vollständig ein. Im Alter von neun Jahren begann er zu meditieren und dann nach Lehrern Ausschau zu halten, um das Vajrayana, Mahamudra und andere tiefgründige Lehren zu studieren. Als er fünfundzwanzig Jahre alt war, hörte er den Namen von Phagmodrupa, einem großen Gelehrten und Meditierer, der ein Schüler des großen Gampopa gewesen war und von dem Gampopa gesagt hatte: „Phagmodrupa ist nicht verschieden von mir.“ Phagmodrupa hatte viele höchst vollendete Schüler um sich versammelt, große Bodhisattvas, die hohe Stufen spiritueller Verwirklichung erlangt hatten. Als jetzt der Erhabene Jigten Sumgön vor ihm erschien, sagte Phagmodrupa: „Dies ist ein besonderer Schüler. Er wird ein großer Meditierer werden und meinen Thron innehaben.“ Einen Thron innehaben bedeutet nicht nur, auf diesem Platz zu sitzen. Vielmehr bedeutet es, den Thron der vollkommenen Erleuchtung der Buddhaschaft innezuhaben. Der Erhabene Jigten Sumgön nahm Phagmodrupa als seinen Wurzel-Guru, den Dharmakaya Buddha, an und erhielt seine vollständigen Lehren.

Kyobpa Jigten SumgönEr zog sich dann in die Echung Höhle zurück und meditierte sieben Jahre lang, um die Lehren, die er erhalten hatte, zu verwirklichen. Mit fünfunddreißig Jahren erlangte er die Erleuchtung und im Augenblick seines Erwachens sagte er: „Aufgrund meiner Erkenntnis besteht jetzt kein Unterschied zwischen Meditation und Nachmeditation. Die vollständigen Lehren erweisen sich als untrennbar von gegenseitiger Abhängigkeit.“

Der Ruf des Erhabenen Jigten Sumgön verbreitete sich im ganzen Land. Mit siebenunddreißig Jahren errichtete er seinen Sitz in Drikung Thil – einem Ort, der das Mandala von Chakrasamvara ist – und aufgrund seiner großen Weisheit und seines großen Mitgefühls versammelten sich dort viele Schüler, nicht nur aus Tibet, sondern auch aus Indien, China, Nepal und vielen anderen Orten. Seine Anhänger waren nicht nur Menschen, sondern auch nicht-menschliche Wesen. Der Erhabene Jigten Sumgön gab Geiern, Pferden und anderen Tieren Belehrungen. Es wurde gesagt, weil sich so viele Mönche in Drikung Thil versammelt hatten, spiegelte sich die Farbe ihrer Roben am Himmel. Als sich 180.000 Schüler dort versammelt hatten, schickte der Erhabene Jigten Sumgön sie alle mit Anweisungen an verschiedene heilige Plätze, um ihre Praxis in der Klausur zu vollenden. Unterdessen versammelten sich fortwährend viele weitere Schüler.

Drikung ThilDer Erhabene Jigten Sumgön lehrte, dass Bodhicitta, der Erleuchtungsgeist, die Essenz des Dharma ist. Er sagte auch, dass das ‚Rad des Bodhicitta’ der höchste Schutz für einen selbst und für andere ist. Dies bezieht sich auf die vollständige Übung des relativen und absoluten Bodhicitta. Gewöhnlich glauben wir, dass wir durch das Praktizieren der höchsten, fortgeschrittensten Lehren die Buddhaschaft in einem Leben erreichen können. Aber ohne Bodhicitta wird dies unmöglich sein. Wenn Bodhicitta vorhanden ist, wird dies jede andere Praxis, die wir ausführen, unterstützen und die Buddhaschaft wird nicht weit entfernt sein. Alle anderen Lehren des Buddha sind zur Unterstützung und Klärung unseres Verständnisses der Bodhicitta-Praxis gedacht. […]

Vierzig Jahre lang lehrte der Erhabene Jigten Sumgön den kostbaren Dharma in Übereinstimmung mit den Worten des Buddha und der Kommentare. Seine zahllosen Schüler gewannen Vertrauen in seine Anweisungen als die direkte, letztendliche Essenz der Buddha-Lehren. Viele dieser Schüler erlangten noch im gleichen Leben die Buddhaschaft. Andere erreichten die zehn Bhumis oder die acht Bhumis oder zumindest die erste Bhumi. Es gab keinen Schüler des Erhabenen Jigten Sumgön, der nicht mindestens die Natur seines oder ihres Geistes erkannte.

Chen-nga Sherab JungneDer Erhabene Jigten Sumgön sagte, dass er immer als Stütze für jene da sein wird, die in Zukunft Führung und Hilfe brauchen und dass er für jene ohne Lehrer als Wurzel-Guru dienen wird. Was könnte wunderbarer oder erstaunlicher sein? Wenn wir ihn als unseren Wurzel-Guru nehmen, an ihn denken, sein Mantra rezitieren und die vier Ermächtigungen empfangen, indem wir uns auf seine Visualisierung stützen, werden wir sogar heute zweifellos seinen vollständigen Segen erhalten.

Chen-nga Sherab Jungne – einer der engen Schüler des Erhabenen Jigten Sumgön sowie Autor vieler seiner Lebensgeschichten, der seine Lehren u.a. im Wurzeltext des Gongchig zusammenstellte – fragte den Erhabenen Jigten Sumgön dreimal, wo sein Buddha-Bereich sein werde, weil seine Anhänger in der Zukunft gerne zu ihm beten und von diesem Ort Segen empfangen würden. Der Erhabene Jigten Sumgön antwortete: „Ich habe keinen speziellen Buddha-Bereich, weil meine Verwirklichung – Dharmakaya – nicht verschieden von der Verwirklichung aller Buddhas ist. Wenn jemand über Mahamudra meditiert, wenn jemand über die Natur des Geistes meditiert, wird mein Segen dort sein.“ Dies ist so, weil es keine Trennung zwischen den fühlenden Wesen und den Buddhas gibt.

Auszug aus der Einleitung
von Khenchen Könchog Gyaltsen Rinpoche,
Frederick, Maryland, Januar 2001