Kurze Erklärungen zu den Einweihungen in die Mandalas der friedvollen und zornvollen Gottheiten
Die überlieferten Traditionen des tibetischen Buddhismus enthalten viele Methoden, um die Kontinuität des Bewusstseins zu erfahren und in den Stadien des Wachseins, des Traumes und jenseits davon, in der anscheinenden Bewusstlosigkeit des Zwischenzustandes (tib. Bardo), den alle Wesen zwischen ihren Leben durchlaufen, aufzuspüren. Der Buddha-Dharma beschreibt das Auftreten der Mandalas der friedvollen und zornvollen Erscheinungen des Bardo. Die Einweihungen, die im Zusammenhang mit den friedvollen und zornvollen Erscheinungen des Zwischenzustandes gegeben werden, verbinden diejenigen, die diese erhalten, mit diesen Mandalas. Aus der Einweihung kann man also einen großen Nutzen ziehen, der während dieses Lebens, im Zwischenzustand und darüber hinaus andauert.
Die Erfahrung im Zwischenzustand (tib. Bardo)
Das Wort Bardo bedeutet „Pause, Unterbrechung, dazwischen“. Unsere Erfahrungen setzen sich aus verschiedenen Arten von Unterbrechungen oder Zwischenzuständen zusammen. So kann als Beispiel die Lücke zwischen der Auflösung des einen Gedankens und dem Erscheinen eines anderen als Bardo oder Zwischenzustand bezeichnet werden.
Im Allgemeinen spricht man von sechs Bardos:
- Der Bardo des Zeitpunktes des Todes (chi-ka bardo)
- Der Bardo des Dharmata (chö-nyi bardo)
- Der Bardo des Werdens (sri-pa bardo)
- Der Bardo zwischen Geburt und Tod (skye-nye bardo)
- Der Bardo des Traumzustandes (mi-lam bardo)
- Der Bardo der Meditativen Stabilität (sam-ten bardo)
Die ersten (drei) Bardos enthalten die Erfahrungen vom Augenblick des Todes an bis zu dem Zeitpunkt, wenn dem Bewusstsein eine neue Geburt bevorsteht. Im Bardo des Zeitpunktes des Todes beginnt das Bewusstsein, sich vom Körper zu lösen. Die Person erfährt die Auflösung der verschiedenen Elemente des Körpers: Wenn sich das Erdelement in das Wasserelement auflöst, durchdringt den Körper ein Gefühl der Schwere; wenn sich das Wasserelement im Feuerelement auflöst, hört die Zirkulation der Körperflüssigkeiten auf; wenn sich das Feuerelement im Luftelement auflöst, lässt das Gefühl von Wärme nach; wenn sich das Luftelement im Raum auflöst, verliert man das Gefühl der Berührung mit der physischen Welt.
Wenn sich das Bewusstsein vollständig nach innen richtet, tritt schließlich eine große Erscheinung von Licht auf. Dies bezeichnet man als Bardo des Dharmata. Das unvollkommene Individuum stürzt in einen Zustand der Bewusstlosigkeit, da die direkte Erfahrung dieser intensiven Lichtstrahlung unerträglich wird.
Das Wiedererwachen des Bewusstseins kennzeichnet den Beginn des Bardos des Werdens. Nach dem ersten Schimmer von Bewusstsein entsteht die Erscheinung der fünffarbigen Lichtstrahlen. Diese Strahlen stehen mit den elementaren Qualitäten des Geistes in Verbindung und sind der Ausdruck seines natürlichen Glanzes. Aus ihnen entstehen weiterhin die fünf Buddhas in ihren friedvollen und zornvollen Formen. Beide Arten stellen die erleuchteten Aspekte des Geistes dar.
Mit jeder Erscheinung der friedvollen und zornvollen Gottheiten entsteht die Möglichkeit, entweder die Befreiung zu erlangen oder sonst wahllos in irgendeine Wiedergeburt im Bereich des Samsara zu gelangen. Verblendung ist die Ursache dafür, diese strahlenden oder furchteinflößenden Formen für etwas Äußeres zu halten und daher als angreifend und abstoßend zu erfahren. Neigungen, die durch frühere Handlungen verursacht wurden, führen dazu, dass die Wesen von den finsteren, unerleuchteten Stadien der Verblendung angezogen werden. Daher werden sie unablässig in Samsara wiedergeboren, nur um das Leiden von Geburt, Krankheit, Alter und (wieder) Sterben in einem endlosen Kreislauf der Wiedergeburten zu erfahren.
Die Möglichkeit der Erleuchtung während des Bardo-Zustandes hängt hauptsächlich von drei Faktoren ab. Der erste ist die Grundlage der erleuchteten Natur des Geistes – Tathagatagarbha. Der zweite ist der Segen der Buddhas und Bodhisattvas. Der letzte Faktor ist die Verbindung, die durch die Einweihung entwickelt wurde, die in Verbindung mit dem Verstehen und den Erfahrungen der Meditation die Möglichkeit gibt, die Gottheiten zu erkennen, wie sie vor uns im Bardo erscheinen.
Allgemein hat jede Dharma-Praxis für uns einen großen Nutzen im Bardo, weil wir dadurch unser negatives Karma, Hindernisse und störende Gefühle reinigen und die Ansammlungen von Verdienst und Weisheit entstehen.
Kalu Rinpoche hat zu den Einweihungen der friedvollen und zornvollen Gottheiten erklärt: Der Zyklus der Belehrungen […] und die Einweihungen, die damit verbunden sind, sind entwickelt worden, um den Praktizierenden zu helfen, den Segen zu erhalten und das Verständnis zu entwickeln, welches ihnen bei den Nach-Tod-Erfahrungen von Nutzen sein wird. […] Die Belehrungen und Einweihungen […] machen uns mit den Gottheiten bekannt […] und bereiten uns so auf das vor, was nach dem Tod geschieht.
Der Nutzen, die Einweihungen zu erhalten und die Visualisation zu üben
Der Zyklus der Belehrungen der friedvollen und zornvollen Gottheiten ist außerordentlich tiefgründig und enthält einen großen Segen für die Praktizierenden. Die Linie der Übertragung wurde nicht unterbrochen. Die Wolken des Segens wurden nicht durch gebrochene Samayas zerstreut.
Die Anweisungen, Anzeichen und Siegel der verborgenen Schätze wurden nicht gefälscht. Der letztliche Punkt der tiefen Bedeutung wurde nicht falsch verstanden.
Äußerlich sind die Belehrungen unversehrt geblieben. Innerlich wurde die Übertragung stabil entwickelt. Im Geheimen wurde die Bedeutung verstanden. Letztendlich wurde der wesentliche Kernpunkt ergriffen.
Wenn jemand diese Erklärungen nur hört, werden die Türen zu den niederen Bereichen dauerhaft verschlossen. Durch das Verstehen wird man in den Bereich der großen Glückseligkeit gelangen. Diejenigen, die entsprechend praktizieren, werden die unumkehrbare Stufe der Vajradharas erreichen und nicht mehr gezwungen sein, in Samsara wiedergeboren zu werden.
Diejenigen, die mit diesen Belehrungen in Berührung gekommen sind, finden, dass ihr Leben eine große Bedeutung bekommen hat. Diejenigen, die sie hören, werden von den Leiden befreit. Jeder, der Symbole oder Darstellungen der friedvollen und zornvollen Gottheiten berührt oder sieht, wird ohne Anstrengungen die Befreiung erreichen.
Diejenigen, die diese Praxis selbst anwenden, werden leicht Ergebnisse erlangen und werden eine freudvolle Geisteshaltung entwickeln. Nur durch das Einhalten dieser Praxis wird man befreit. Nur das Hören der Namen wird Vertrauen in diesem Wesen verursachen.
Daher führt dieser einzigartige und tiefgründige Zyklus von Belehrungen alle Wesen durch die zwei Stufen: Heranreifen (durch die Einweihungen) und Befreiung (durch die Praxis).
Samantabhadra Yantra
Samantabhadra als der ursprüngliche Dharmakaya-Buddha symbolisiert den Dharmata. In konzentrischen Kreisen befinden sich die Mantras, die die Mandalas der friedvollen Gottheiten, Vidyadharas und zornvollen Gottheiten repräsentieren. In den äußeren Kreisen befinden sich die Mantras der Buddhas der sechs Bereiche. Im Tibetischen wird diese Art von Yantra „tagdol“ genannt, was „Befreiung durch Tragen“ bedeutet. Das Tragen gehört zu einem der „sechs Arten von Befreiung“, zusammen mit Hören, Sehen, Erinnern, Berühren und Schmecken.
Dieses Yantra wird im Allgemeinen in einem Gau oder Säckchen um den Hals getragen und es wird gesagt, dass es großen Nutzen und Schutz von Hindernissen in diesem Leben bringt. Um zu helfen, Furcht und Verwirrung während des Bardo zu lindern, wird es häufig nach dem Tod auf den Körper einer Person gelegt und mit dem Körper verbrannt.
Übersetzung von Ven. Tendzin Chödrön, 2001, aus:
Kyabje Dorje Chang – Kalu Rinpoche:
„The Empowerment into the Mandalas of the peaceful and wrathful Deities“,
SHRI-Publications, Los Angeles