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Kha par – Wohin gehst Du? (Teil 2)

 

Fortschritte im Tibetischstudium

Wohin ich gehen würde, stand für mich im Sommer 2009, als ich das erste Mal im Rundbrief von meinem Tibetisch-Studium in Nordindien berichtete, außer Frage: nach Dehra Dun. Nun sind wiederum fast zwei Jahre vergangen, in denen ich mich mit viel Freude und manchem Frust dem Erlernen der tibetischen Sprache und der buddhistischen Philosophie gewidmet habe.

Zunächst nahm ich an dem sechsten und damit letzten Jahr des Übersetzertrainings-Programms am Kagyü-College teil. Unsere hauptsächliche Aufgabe bestand darin, unter Anleitung von Khenpo Nyima Gyaltsen einen spannenden und tiefgründigen „Berg-Dharma-Text“ von Kyobpa Jigten Sumgön zu übersetzen, der Anweisungen zum Ausführen von Klausuren in den Bergen oder an anderen abgeschiedenen Orten gibt. Zusätzlich erhielten wir Erklärungen zu einem Kommentar zum Geistestraining in sieben Punkten und übersetzten einen kurzen, schönen Text vom brillanten Atisha.

Da ich zu dieser Zeit schon im Drikung-Nonnenkloster Samtenling untergebracht war und mich dort sehr wohl fühlte, fasste ich den Entschluss, weiterhin dort zu leben und mit den Nonnen zusammen zu studieren. Zunächst einmal aber entfloh ich wieder den klimatisch unangenehmen, indischen Sommermonaten und nutzte die Zeit für ein weiteres Praktikum im Aachener Zentrum.

Dort fügten sich tatsächlich alle notwendigen Bedingungen für meine Zukunftspläne zusammen. Dank großzügiger Spenden war die finanzielle Seite gesichert und die Erlaubnis im Kloster zu studieren samt des notwendigen Studentenvisums wurden ebenso gewährt. Als ich also Anfang September in Samtenling ankam, sah zwar mein Zimmer so aus, als wäre ich statt drei Monaten drei Jahre nicht dort gewesen, aber ansonsten stand der Fortsetzung meines Studiums nichts im Wege.

Im Philosophieunterricht werden den Nonnen in erster Linie anmerkende Kommentare zu bekannten Wurzeltexten erklärt. Anmerkende Kommentare ist eine spezielle Gattung von erläuternden Texten, die sich um den Ursprungstext ranken. Diese habe ich in diesem Jahr zu schätzen und zu lesen gelernt. Ich wurde bzw. werde durch die Kommentare zu den „37 Bodhisattva-Übungen“ von Thogme Sangpo, Nagarjunas „Brief an einen Freund“, dem „Bodhicaryavatara“ von Shantideva und einem Text von Jigten Sumgön, in dem er sehr detailliert die zwölf Taten des Buddha bespricht, geführt.

Es hat sich zudem ergeben, dass ich zwei Lehrer privat in Englisch unterrichte und sie mir im Gegenzug den Dharma lehren. Es ist schon etwas bizarr für mich als deutsche Muttersprachlerin unter zu Hilfenahme der tibetischen Sprache Englisch zu lehren, aber es vertieft meine Kenntnisse in beiden Fremdsprachen und die Lehrer sind wirklich dankbar für die Möglichkeit, Englisch zu studieren.

Einer dieser Lehrer erläutert mir hauptsächlich die verpassten Verse zu den 37 Bodhisattva-Übungen, da ich einen Monat nach Unterrichtsbeginn hier ankam. Mit dem anderen studiere ich mittlerweile einen Text über die verschiedenen nicht-buddhistischen und buddhistischen Lehrmeinungen. Mitten im Schuljahr hat er zu dem Thema zusätzlich eine Sonderklasse für alle interessierten Nonnen angeboten. Von daher habe ich aus Zeitgründen den umfangreichen Kommentar zum Bodhicaryavatara auf Eis gelegt und beschlossen, ihn im nächsten Schuljahr intensiv mit ihm im Einzelunterricht zu studieren. Denn nachdem ich in viele verschiedene Texte hineinschnuppern konnte, habe ich entschieden, dass es an der Zeit ist, einen Kommentar grundlegend zu studieren. Und der Kommentar zum Bodhicaryavatara hat es mir besonders angetan. Für das nächste Schuljahr plane ich zudem, an dem Grundkurs buddhistischer Logik einschließlich täglicher Debatte teilzunehmen.

Ich bin zutiefst dankbar, dass ich diese kostbare Möglichkeit habe, in Indien intensiv Tibetisch und Dharma zu studieren und konnte im letzten guten halben Jahr wirkliche Fortschritte im Lesen von buddhistischen Texten, Hören von Dharma-Unterweisungen und im Sprechen erzielen. Zudem ist es für mich etwas Besonderes, den Alltag mit der jungen Gemeinschaft von Samtenling teilen zu dürfen und von den Nonnen und ihren Lehrern lernen zu können.

Claude Jürgens