Almora, Kasar Devi ist Sitz einer Gonpa und eines Retreat-Zentrums der Drikung Kagyü Schule. Almora liegt in Nordindien, ca. 400 km nordöstlich von Delhi. Dieser Ort bietet mit seinen 1700 m ü.M. nicht nur eine phantastische Aussicht auf die Berge des Himalaya, sondern ist auch aus buddhistisch-historischer Sicht sehr interessant. Zuerst lebte auf dem großen Hügel oberhalb von Almora der bekannte Herausgeber von Übersetzungen tibetisch-buddhistischer Texte W.Y. Evans-Wentz.
Dieser war der ursprüngliche Besitzer des großen Grundstücks (1936 erworben), übergab es aber später seinem deutschen Freund, Anagarika Govinda (Lama Govinda), selbst ein buddhistischer Praktizierender und Autor vieler buddhistischer Bücher. Lama Govinda wiederum vermachte das Land einem tibetischen Paar, Sönam Chödrön und Kunsang Rigzin, das ihm über viele Jahre hinweg mit praktischen Arbeiten zur Seite gestanden und ihm teilweise auch beim Verfassen seiner Bücher geholfen hatte. Heute lebt Ama (Mutter) Sönam Chödrön mit ihren zwei verheirateten Töchtern auf dem Anwesen und weiß viele interessante Dinge aus vergangenen Zeiten zu berichten. Ich bat Ama-la in einem Gespräch, etwas mehr über ihr Leben und die Geschichte des Baus der Drikung Gonpa zu erz ählen.
Ama-la, bitte erzähle zuerst etwas über Dein Leben vor Deiner Zeit in Almora, und wie Du mit der Drikung-Schule verknüpft bist.
Ich wurde am siebzehnten Tag im letzten Monat des Holz-Schwein-Jahres (*im Februar 1936) nicht etwa zu Hause, sondern in den Bergen geboren. Unsere Familie gehörte den Nomaden an, wir hatten aber auch Felder im ‚Drikung Lung Shöt‘ Gebiet (Das Drikung Gebiet liegt nordöstlich von Lhasa in Tibet). Ich hatte zwei Väter, einer war ein ‚Nyingma Ngakpa‘ (ein Laienpraktizierender der Nyingmapa-Schule) und der andere praktizierte in der Tradition der ‚Karma Kagyü‘. Die Verbindung zur Drikung Kagyü Schule habe ich von meiner Mutter mitbekommen.
Mit siebzehn Jahren heiratete ich – dem Rat meiner Eltern folgend – den Nyingma Ngakpa Kunsang Rigzin. Zusammen unternahmen wir eine große Pilgerreise, die drei Jahre dauerte und uns zum Kailash sowie fast allen wichtigen Pilgerorten in Indien und Nepal führte. In Varanasi konnten wir den Wurzel-Lehrer meines Mannes, Jamyang Khentse Rinpoche, besuchen. Dieser gab uns den Rat, nach Nordindien Richtung Almora/Pithoragarh zu gehen, denn das würde gut für den Dharma sein.
Als ich zwanzig Jahre alt war, kamen wir in Almora an.
Wie haben Du und Dein Mann Lama Govinda getroffen und wie seid Ihr nach Kasar Devi gekommen?
Eines Tages trafen mein Mann und ich Lama Govinda auf dem Markt in Almora. Lama Govinda freute sich enorm, uns zu sehen. Er meinte, er würde hier so selten Tibetern begegnen und lud uns deshalb sofort zu sich nach Kasar Devi ein. Als wir ihn in seinem Haus besuchten, verbrachten wir eine schöne Zeit zusammen. Etwas später erzählte Lama Govinda uns, dass er jeden Tag zu den Drei Juwelen (Buddha, Dharma, Sangha) gebetet und sich einen ‚Dharma-Sohn‘ gewünscht hätte. Mit unserer Ankunft hätte er nicht nur einen Sohn, sondern auch eine Tochter bekommen; nun sei er glücklich! An einem Vollmondtag opferten wir ‚Tsog‘ zusammen und da gab uns Lama Govinda ein kleines Haus bei ihm in der Nähe. Er fragte uns auch gleichzeitig, ob wir ihn mit den Arbeiten in Haus und Garten unterstützen wollten, denn er war nicht zufrieden mit seinen indischen Angestellten. Da dachten wir an den Rat von Jamyang Khentse Rinpoche, nach Almora zu gehen und daran, dass Lama Govinda unsere Hilfe brauchte. Fast zur selben Zeit hatten wir auch von einem Bekannten einen Brief meiner Mutter erhalten, in dem sie uns schrieb, dass die Situation in Tibet sehr schlecht sei und wir nicht zurückkommen sollten. So erschien es uns, dass es unser Karma war, in Almora zu bleiben. Wir ließen uns in Kasar Devi nieder und halfen Lama Govinda während vierundzwanzig Jahren.
Ama Sönam-la, wessen Idee war es, eine Gonpa zu bauen? Wie verlief der Bau und wie lange dauerte es?
Die Idee des Gonpa-Baus kam von meinem Mann, Kunsang Rigzin und mir. Da Lama Govinda uns wie seine eigenen Kinder betrachtete und wollte, dass wir bei ihm bleiben sollten, vermachte er uns – nach brieflicher Absprache mit W.Y. Evans-Wentz – ein Stück Land für den Bau der Gonpa.
Anfangs hatten wir kein Geld für den Bau, zudem war mein Mann auch mit Bauarbeiten an Stupas beschäftigt (Kunsang Rigzin hat insgesamt sechs Stupas in der Gegend um und in Almora gebaut.).
Dann gab uns Lama Govinda 10.000 Indische Rupees und mit der Hilfe anderer ‚Gyagar Khampa‘ Familien (Tibeter, die seid wenigen Generationen in Indien leben und/oder dort Handel betrieben haben.) sowie dem Verkauf unseres Schmucks und der Unterstützung einiger Touristen ist der Bau ganz langsam voran gegangen. Mein Mann hat den Bauplan der Gompa gemacht, aber bei dessen Realisierung waren Lama Govinda und seine Frau sowie ein Ingenieur, der uns von einem wichtigen Sponsor, Dr. Godmar, zugesandt wurde, namhaft beteiligt.
Der Bau gestaltete sich durch vielerlei, aber vor allem durch die finanziellen Probleme, schwierig und dauerte deshalb sehr lange, nämlich zwischen zwanzig und dreißig Jahren! Wenn man von der Grundidee meines Mannes ausgeht, dann ist die Gonpa auch heute noch nicht ganz vervollständigt.
Die Almora-Gonpa beherbergt sowohl große, schöne Statuen von Buddha Shakyamuni, als auch von Padmasambhava, Yeshe Tsogyal und Prinzessin Mandarava. Wie ist die Gompa zu diesen Statuen gekommen? – Und die letzte Frage: Wie kam es dazu, dass die Gonpa der Drikung-Linie gewidmet wurde?
Nach dem Bau der Gonpa starb mein Mann und auch mein ältester Sohn, wir hatten kein Geld und waren immer wieder krank, es gab keine Statuen und gar nichts in der Gonpa: das waren schwierige Zeiten! Da hörte ich, dass in Nainital, hier ganz in der Nähe, ‚Gen Tashi‘ (ursprünglich Lobsang Tashi aus Lodrak, Tibet) wohnte, der Statuen machen konnte. Wiederum sparte ich Geld zusammen und mit der Hilfe von Dr. Godmar und anderen Sponsoren konnte Gen Tashi die sechs Statuen in vier Jahren fertig stellen.
In der Zwischenzeit ist es uns auch möglich geworden, einen großen Altar machen zu lassen, um alle Statuen und Texte unterzubringen. Letztes Jahr wurden mit Drubpön Sönam Jorphels finanzieller und Drubpön Chamba Rigzins praktischer Hilfe neue Fenster und Türen eingebaut sowie Tische, Bänke und Sitzteppiche hergestellt, so dass die Gonpa jetzt mit den wichtigsten Dingen ausgerüstet ist und auch benützt werden kann.
– An dieser Stelle möchte ich betonen, wie wichtig Lama Govinda für den Bau der Gonpa war. Ich erinnere mich durch dieses Gespräch sehr stark an ihn, er war von solch großer Güte und für mich wie Vater und Mutter zugleich (Ama weint). – Aber in schwierigen Zeiten habe ich auch immer an Padmasambhava gebetet. – Letztlich ist die Gonpa als ein Andenken an meine gütige Mutter der Drikung-Linie gewidmet worden. Als ich nach Indien kam, sah ich, dass die Drikung-Schule, außer in Ladakh, nicht sehr verbreitet war. Später entstanden überall Gonpas von anderen Schulen, nur von der Drikung-Linie gab es nichts. Das machte mich traurig und so fragte ich meinen Mann:
‚Selbst bist du ein Nyingmapa- Praktizierender, aber ich möchte dich darum bitten, dass die Gonpa der Drikung-Linie gewidmet wird, auch in Gedenken an meine Mutter.‘ Mein Mann hatte nichts dagegen einzuwenden, sondern meinte, das sei schon gut so. Für ihn sei der Dharma überall derselbe (unabhängig von der jeweiligen Schule), außerdem praktizierte seine Mutter auch in der Drikung-Schule und ‚Gar Drubtob Jigmet Dorje‘ (ein vervollkommneter Yogi der Drikung-Schule aus Kham, Osttibet) sei sein Onkel mütterlicherseits. – So wurde die Gonpa der Drikung-Linie gewidmet und das machte mich sehr froh.
Ama Sönam Chödrön, herzlichen Dank für das Gespräch!
(Einleitung sowie Gespräch in gekürzter Fassung aus dem Tibetischen von Deskit Wangmo (Ingrid Zehnder), Almora/Pithoragarh, Dezember 2002.)