1. Etappe: Frankfurt – Delhi – Dehra Dun (Uttarakhand)
Im Chaos der ersten Schneefälle am Jahresende macht sich eine 15-köpfige Pilgergruppe (Buddhisten und Nicht-Buddhisten) um Ani Tsechoe (Sabine Tsering) von Frankfurt auf nach Delhi. Zur Einstimmung hat die Lufthansa unter anderem ‚Best Exotic Marigold Hotel‘ und ‚Madame Mallory – Der Duft von Curry‘ im Unterhaltungsprogramm – wie passend!
Bei der Ankunft um 2 Uhr morgens liegt Delhi im Nebel. Nach 90 Minuten an der Passkontrolle und am Gepäckband treffen wir unseren zweiten Reiseleiter, Tashi, und fahren mit Autos weiter nach Dehra Dun.
Nachdem wir bereits eine knappe Stunde durch Delhi gefahren sind, halten wir gegen kurz vor fünf Uhr morgens an einer Feuerstelle am Straßenrand (Tank und Rast ‚Indian Style‘), um auf die übrigen Fahrzeuge zu warten und im Konvoi weiterzufahren. Aus dem geplanten fünf-minütigen Stopp werden dreißig Minuten. Dieses Muster wird uns während der gesamten Reise begleiten!
Um kurz vor sechs Uhr morgens befinden wir uns immer noch in Delhi. Die Rush hour (‚Blow horn‘) beginnt und das war es dann mit Schlafen. Wie viele Spuren die Straße hat, ist nicht erkennbar, zum einen wegen des Nebels und weil eine zweispurige Straße grundsätzlich fünfspurig benutzt wird. Die Autos fahren mit Warnblinklicht.
Nachdem der Nebel sich lichtet, sehen wir am Wegesrand viele schöne Fotomotive. Leider halten wir nicht zum Fotografieren an. Rund 24 Stunden nach unserer Abreise aus Deutschland kommen wir pünktlich zum Mittagessen in der Songtsen Bibliothek an, unserer Unterkunft in Dehra Dun für die nächsten fünf Tage. Fünf der neun Stunden Autofahrt haben wir im Blindflug und – wegen des Frischluftbedürfnisses zumindest unseres Fahrers – bei Kühlschranktemperaturen verbracht.
Im Vorgebirge des Himalaya, wo Dehra Dun liegt, haben viele Exiltibeter eine neue Heimat gefunden und so befinden sich in der näheren Umgebung verschiedene Klöster und tibetische Flüchtlingsgemeinden (u.a. Dekyi Ling, Clementown), die wir während unseres Aufenthalts besuchen. Eines der Klöster ist Jangchub Ling, das Hauptkloster der Drikung Kagyü Tradition im indischen Exil. Seit der Gründung im Jahr 1986 ist hier unter dem Dach des Drikung Kagyü Instituts (DKI) nicht nur ein Kloster für Mönche, sondern auch ein Nonnenkloster (Samtenling) mit Retreatzentrum, eine Bibliothek (Songtsen Library) und ein College entstanden.
Beim Besuch des Colleges können wir während des 5 o’clock-Tees im Hof die Debattierstunde der Mönche verfolgen. Vor unserer Abreise fahren wir noch zum Drikung Kagyü Himalaya Guesthouse nach Sahastradhara, das fast fertig gestellt, aber noch nicht eröffnet worden ist, und besuchen dort auch die heißen Quellen und einen indischen Tempel.
2. Etappe: Dehra Dun – Delhi – Gaya – Bodh Gaya (Bihar)
Abends geht es mit dem Nachtbus nach Delhi zurück und von dort aus gegen Mittag des nächsten Tages nach Gaya. Beim Einstieg in Dehra Dun wird heftig über die Sitzordnung diskutiert. Die Schnarcher sollen vorne platziert werden, was innerhalb unseres reservierten Platzkontingents nur bedingt funktio-niert. Bis alle Fahrgäste eingesammelt sind und der ‚On-Board-Service‘ uns nach 90 Minuten Fahrt schließlich eine Flasche Wasser serviert, geht es aber erst einmal zu wie im Taubenschlag. Danach ist selbst die Lüftung lauter als meine Sitznachbarin, die auch schnarcht. Außerdem ist die Fahrbahn holperig und der Fahrer nutzt die Hupe kräftig, während wir gleichzeitig von anderen Mitreisenden trotz Kopfhörern mit verschiedenen Musikstilen beschallt werden. So ist alles relativ!
Da wir im tibetischen Viertel in Delhi keine Möglichkeit haben, unsere Koffer bis zum Weiterflug nach Gaya unterzustellen, fahren wir mit Taxen direkt weiter zum Flughafen. Wir ‚checken‘ in der ruhigen Wartelounge mit gemütlichen Liegesesseln und sauberen Toiletten ein. Zum Frühstück hat Ani Sabine als rührige Reiseleiterin improvisiert und bereits in Dehra Dun Lebensmittel eingekauft, damit wir in der Wartelounge picknicken können.
Die eigentliche Pilgerreise beginnt in Bodh Gaya, dem Ort von Buddhas Erleuchtung. Es heißt, dass in Bodh Gaya, das auch Vajrasana, der „Diamantene Thron“ genannt wird, alle 1000 Buddhas unseres Weltzeitalters Erleuchtung erlangen. Buddha Shakyamuni war der vierte Buddha in dieser Reihe. Daher ist Bodh Gaya für Buddhisten ein besonderer Ort und eine wichtige Pilgerstätte.
Die Eingangshalle unseres Gästehauses verspricht mehr als die Zimmer halten. Und auch hier geht es, wie in der ganzen Stadt, zu wie im Taubenschlag.
Beim Besuch des Bodhi Stupa sind die Sicherheitskontrollen recht willkürlich. Männer werden nur kurz an der Hüfte abgetastet, Frauen müssen den gesamten Inhalt ihrer Taschen zeigen. Manche Frauen gehen aber auch einfach durch den Sicherheitscheck der Männer. Mobiltelefone dürfen auch im ausgeschalteten Zustand nicht mitgenommen werden. Die Atmosphäre ähnelt eher einem Rummelplatz als einem heiligen Ort.
Im Umland von Bodh Gaya besuchen wir den Rohbau der Siddharta Compassion School, einer Schule für Kinder der ländlichen Umgebung (Kindergarten, Grund- und Mittelschule). Schon die Fahrt zu siebt im Tuk Tuk ist ein großer Spaß. Das Projekt wird von einer vietnamesischen Nonne in Eigenregie durchgeführt. In den übrigen drei Schulen, die sie seit 2004 in der Gegend errichtet hat, werden rund 600 Schüler von 18 Lehrenden unterrichtet.
Abends gehen wir noch einmal zum Tempel zurück, um abseits des Rummels des Kagyü-Mönlams Butterlampen anzuzünden. Während wir am Tempel beten, treffen wir dort S. E. Ontul Rinpoche.
Rund 80 km von Bodh Gaya entfernt liegen u.a. der Geierberg (Gridhrakuta Hill) und die historische Klosteruniversität Nalanda. Bei unserem Tagesausflug dorthin, der um 6.30 Uhr beginnt, können wir die Menschen, an denen wir vorbeifahren, bei den intimsten Aspekten ihrer Morgentoilette beo-bachten. Auch hier geht es an allen Pilgerstätten zu wie auf einem Rummelplatz, überall wimmelt es von Händlern, Pilgern und Bettlern. An der ersten Station werden wir sogar von Trägern erwartet, die uns wie Kolonialherren auf Sänften zum Kloster tragen wollen.
3. Etappe: Bodh Gaya – Varanasi/Sarnath – Kushinagar (Uttar Pradesh)
Von Bodh Gaya geht es nach sechsstündiger Autofahrt ins Verkehrschaos von Varanasi, der großen heiligen Stadt des Hinduismus und einem der wichtigsten Orte Indiens, um Kultur und Religion kennen zu lernen. Nach zwei spannenden innerstädtischen Etappen mit Tuk Tuks und Fahrradrikshas wohnen wir dort abends der Touristen-Performance einer fünfköpfigen Hindupriester-(Boy-)
Group am Ganges bei.
Im Anschluss an die nächtliche Bootsfahrt auf dem Ganges (ohne sichtbare Leichenteile im Wasser) mit Blick auf die 24-Stunden-Open-Air-Krematorien (= Ghats), auf deren Terrassen pro Tag rund 300 Leichen verbrannt werden, nehmen wir das Abendessen in einem Rooftop-Restaurant ein. Das Essen ist gut, aber durch die Nähe zum Ghat und die entsprechende Rauchentwicklung durchaus getrübt.
Tagesfazit: Tuk Tuk-Fahren ist (fast) wie Cabrio Fahren, nicht das gleiche Fahrgefühl, aber das Haar ist am Ende gleichermaßen verfilzt.
Zehn Kilometer nördlich von Varanasi liegt Sarnath, wo Buddha Shakyamuni das Rad der Lehre zum ersten Mal in Bewegung gesetzt hat. Wir werden von Fahrradrikshas dorthin gefahren. Auch die erste tibetische Universität im Exil (Central University of Tibetan Studies), deren Bibliothek wir nachmittags besuchen, wurde an diesem Ort gegründet. Im Vajra Vidya Institute begegnen wir dem Ehrwürdigen Khenchen Thrangu Rinpoche.
Weiter führt uns unsere Pilgerreise nach rund achtstündiger Autofahrt nach Kushinagar. Die Bilder am Straßenrand (Müll, Armut, usw.) verändern sich wenig, höchstens die Form der Kuhfladen (rund, Halbmonde, Briketts), die dort getrocknet werden. In Kushinagar besichtigen wir die Stätte, wo Buddha Shakyamuni ins Parinirvana eingegangen ist und sein Körper eingeäschert wurde.
4. Etappe: Kushinagar – Lumbini (Nepal)
Die nächste Station unserer Reise ist Lumbini, der Geburtsort des historischen Buddha Shakyamuni, im heutigen Süden Nepals gelegen. Von den sieben bis acht Stunden Fahrtzeit verbringen wir lediglich eine Stunde am Grenzübergang Sonali und können die Abfertigung gegen Zahlung von 100 indischen Rupien beschleunigen.
Im ‚Sacred Garden‘ in Lumbini sind in den letzten Jahren Klöster aller buddhistischen Traditionen errichtet worden. Das Gelände darf nicht mit Schuhen betreten werden, so dass der Rundgang und die Gruppenmeditation unter einem der Bäume bei einer Außentemperatur von 10 Grad Celsius auf Socken recht kühl ausfallen. Auch in dem Restaurant, in dem wir zu Mittag essen, schaffen wir es angesichts fehlender Fensterscheiben während der guten Stunde, die wir auf das Essen warten, trotz der täglichen Ration Ginger-Lemon-Honey-Tee nicht, uns aufzuwärmen. Abends sitze ich mit Mütze und Handschuhen im Bett und schreibe Mails. Das Wifi funktioniert, aber es ist kein Strom zur Verfügung, um Wasser zu kochen.
5. Etappe: Lumbini – Kathmandu
Mit Minibussen geht es weiter zu unserer letzten Station nach Kathmandu. Am Vorabend erfahren wir, dass in Lumbini gestreikt wird und wir Schwierigkeiten haben, Fahrzeuge zur Weiterreise zu finden. Irgendwie stehen am nächsten Morgen dann doch zwei Autos vor der Tür, allerdings schon um 4 Uhr statt 6 Uhr morgens, damit wir vor den Streikposten außerhalb des Distrikts sind. Nach neuneinhalb Stunden Reisezeit, davon etwa eineinhalb Stunden im Smog des Stop-and-go-Verkehrs von Kathmandu, kommen wir gegen 15 Uhr in Pashupati Kshetra in Kathmandu an. Die Temperaturen tagsüber sind angenehm, es ist sonnig. Das ist auch gut so, denn inzwischen gibt es fast niemanden mehr, der keine gesundheitlichen Probleme (Atemwege oder Magen) hat.
Als wir am nächsten Morgen zu den Klöstern von Drubpön Sonam Jorphel (Drikung Rinchen Palri) und S. E. Nubpa Rinpoche (Drikung Kagyü Rinchen Ling) aufbrechen, wird nun auch in Kathmandu gestreikt. Die Straßen der Millionenstadt sind dadurch bis auf die Streikenden bzw. Demonstranten, ein recht großes Polizeiaufgebot und wenige Fahrrad- und Motorradfahrer völlig frei, so dass dort sogar Federball gespielt wird. Unsere Mietautos werden, als Touristenfahrzeuge gekennzeichnet, nicht angehalten. Fahrgäste anderer Fahrzeuge müssen aussteigen und zu Fuß weitergehen.
Abends läuft der Verkehr in Kathmandu dann leider wieder normal, d.h. es staut sich, vor allem bei unserer Rückkehr zur Feierabendzeit. Auch die Geschäfte sind wieder geöffnet und auf offener Straße wird Fleisch und Geflügel verkauft. Nicht selten ist darunter auch ein komplettes Schwein. Aber nicht nur zum Verkauf, auch im Flussbett sehen wir Tierkadaver (Ziegen und Schweine) liegen.
Bevor wir uns an den letzten beiden Tagen unserer Pilgerreise im Gewimmel rund um den Stupa von Boudha Nath samsarischen Shopping-Vergnügen hingeben – begleitet von dem Besuch einer Thangka-Malschule und umrahmt unter anderem von den Aktivitäten einer zweitägigen Puja sowie einem Totenzug – stehen noch weitere Ausflugsziele auf dem Programm.
Im Umland von Kathmandu besuchen wir das Kloster von Khenchen Thrangu Rinpoche, den beschaulichen Ort Namo Buddha und den Stupa in Swayambhu (Affentempel), wo es wegen der Ausscheidungen der unzähligen Tiere riecht wie in einer Kloake. Außerdem fahren wir nach Pharping zur Asura-höhle, in der Guru Rinpoche meditiert haben soll, und hängen dort Gebetsfahnen auf. Am Nachmittag unseres letzten Ausflugtages, der auf einen hinduistischen Feiertag (1. Tag des Frühlings) mit entsprechend vielen einheimischen Besuchern fällt, bleibt uns dann leider nur wenig Zeit, uns von Ani Olga aus Lettland Patan mit dem Mahabuddha-Tempel, den Königspalast am Durbar Square und den Goldenen Tempel zeigen zu lassen.
Am gleichen Abend, nach dem tibetischen Kalender ist es der Vajrayogini-Tag, finden wir auf dem Heimweg zu unserem Hotel in einer der einsamen, dunklen Gassen ein ca. zweijähriges Kind. Trotz der vielen herumstreunenden Hunde und erheblicher Verständigungsschwierigkeiten gelingt es uns, es wohlbehalten zurück nach Hause zu bringen, wo der Verlust bis dahin nicht bemerkt worden war.
Und wie schon häufiger auf dieser Reise denke ich an ein Zitat aus dem Film ‚Best Exotic Marigold Hotel‘: „Am Ende wird alles gut. Und wenn es nicht gut ist, ist es auch noch nicht das Ende.“
In den letzten Stunden unseres Aufenthalts entsteht dann noch große Aufregung um die Abflugzeit unseres SpiceJet-Fluges nach Delhi. Die ursprüngliche Abflugzeit war bereits vor Wochen nach hinten verschoben worden. Jetzt steht auf der Internetseite wieder die ursprüngliche Uhrzeit. Unsere Taxis sind noch nicht verfügbar, und die Gruppe ist auch noch nicht vollständig. Einige tätigen noch die letzten Einkäufe. Die telefonischen Auskünfte sind ebenfalls nicht verlässlich. Es ist ein einziges nepalesisch-indisch-englisches Durcheinander!
Eine Mitreisende sagt über Asien: „You never know what will happen! Weißt du in Deutschland zwar auch nicht, aber hier musst du es dreimal am Tag sagen.“
Dorothee Söndgen