Die Eröffnung des Retreat-Tempels im Milarepa Retreat Zentrum im Juni 2014
Die Umrundung des Mount Kailash gilt als verdienstvoll, vor allem im aktuellen Jahr des Pferdes. Und nachdem S.H. Drikung Kyabgön Chetsang ihn – mitsamt der beiden anderen heiligen Berge Lapchi und Tsari – durch den Bau dreier Retreat-Zentren in Deutschland, Neuseeland und Ungarn in den Westen hat ‚versetzen‘ lassen, ist dies nun auch für diejenigen möglich, die weniger gut zu Fuß sind .
Wem eine solche Reise also bisher zu weit oder beschwerlich war, oder wer wegen der großen Nachfrage in diesem Jahr keine Genehmigung erhalten hatte, konnte im Juni alternativ die Gelegenheit nutzen, zur täglichen Kora (Umrundung des Mt. Kailash) in die Lüneburger Heide zu fahren.
Nachdem S.H. Drikung Kyabgön Chetsang zur Eröffnung des Retreat Zentrums im Oktober 2012 aus gesundheitlichen Gründen nicht nach Schneverdingen kommen konnte, waren die Umstände anlässlich der Eröffnung des Retreat-Tempels in diesem Jahr günstiger. Die Veranstaltung begann mit der feierlichen Eröffnung und Weihe des Retreat-Tempels zu Saga Dawa Düchen. Nach dem tibetischen Kalender ist dies der Tag von Buddhas Erleuchtung und Eintritt ins Parinirvana. Nach dem gregorianischen Kalender war es in 2014 Freitag, der 13.!
Neben der anschließenden großen Chakrasamvara-Ermächtigung sorgte in den folgenden vier Tagen vor allem der Abschluss des offiziellen Programms mit Seiner Heiligkeit für große Heiterkeit unter den Anwesenden. Bei der großen Drikung Bodhicitta Übertragung war nämlich nicht nur eine aufrechte Motivation erforderlich. ‚Fingerspitzengefühl‘ und nicht unerhebliche koordinative Fähigkeiten waren auch beim Verketten der kleinen Finger mit den jeweiligen Platznachbarn bei gleichzeitigem Kreuzen der eigenen Arme gefragt.
Das Oberhaupt der Drikung Kagyü Linie wurde auf seiner Reise von S.E. Nubpa Rinpoche begleitet, der im weiteren Verlauf Belehrungen zu den spirituellen Gesängen des Großen Yogi Milarepa gab sowie Ermächtigungen und Belehrungen zu Drupai Gyalmo Amitayus und Vajrasattva. Auch Ven. Khenpo Nyima Gyaltsen, ein Schüler Nupba Rinpoches, der vor kurzem erst im Aachener Zentrum Belehrungen zum Herz-Sutra, zur Vollkommenheit der Weisheit (Prajna Paramita), gegeben hatte, gab Belehrungen zu Nagarjunas Gedicht ‚Brief an einen Freund‘.
Ein besonderes Erlebnis war neben den Ermächtigungen, Übertragungen und Belehrungen auch die Verabschiedung Seiner Heiligkeit. Um ihn rechtzeitig durch den Elbtunnel zum Flughafen zu bringen, wurde die Abfahrt zunächst auf 5 Uhr morgens festgesetzt, am Vorabend aber kurzfristig noch einmal um eine halbe Stunde vorverlegt. Trotz der gewöhnungsbedüftigen Uhrzeit fanden die beiden Taxifahrer am nächsten Morgen jedoch eine ganze Schar früher Vögel vor, die zum Abschied ihre Kataks im (oder auch gegen den) Uhrzeigersinn schwenkten.
Fester und wichtiger Bestandteil der meditativen Praxis im Milarepa Retreat Zentrum ist bei jeder Veranstaltung auch das Karma Yoga außerhalb der Kurse. Während der Mithilfe bei allen anfallenden Tätigkeiten – z.B. Küche, Kochen, Hausreinigung, Besorgungsfahrten, Organisation, Tempel, Technik, Außenanlage, medizinische Versorgung usw. – kann jeder Teilnehmer Achtsamkeit im alltäglichen Tun üben, Engagement für die Gruppe zeigen und Verdienst ansammeln.
Ach ja, und dann war da noch parallel die Fußball-WM u.a. mit dem ersten Gruppenspiel der deutschen Mannschaft. Wegen des ladhakischen Verhältnissen gleichenden WLAN-Empfangs im Zentrumsumfeld bescherten die Fußballfans unter den Anwesenden der ortsansässigen Eisdiele ein ungeahntes Zusatzgeschäft.
Wer jetzt Lust bekommen hat, sich in diesem Jahr doch noch auf den Weg zum Mount Kailash oder zu Seiner Heiligkeit zu machen, hat dazu im Dezember noch einmal die Gelegenheit. Dann finden in Schneverdingen zu Lhabab Düchen die feierliche Eröffnung des Drei-Jahres-Retreats mit einer Torma-Einweihung in den fünffachen Pfad von Mahamudra und Belehrungen zur Meditationspraxis statt.
Dorothee Söndgen