Bericht aus dem Milarepa Retreat Zentrum
Es ist mittlerweile 24 Jahre her, dass S.H. Drikung Kyabgön Thinle Lhundup[1] beim Kagyü Ngak Dzö Einweihungszyklus in Aachen neben der Einweihung des Hevajra auch einen kurzen Meditationstext dieses Deva (tib. Yidam) für die tägliche Praxis der Teilnehmenden erstellte.
Obwohl Hevajra mit seiner Gefährtin Nairatmya die Hauptpraxis des großen Meisters und Übersetzers Marpa war, ist die Übertragung im Laufe der Jahrhunderte in der Kagyü-Linie fast zu einem Ende gekommen. Es ist Seiner Heiligkeit daher ein Herzensanliegen, diese Übertragung wiederzubeleben.
2009 hatte S.H. zur Nairatmya-Einweihung in München schon eine ausführlichere Sadhana für das anschließende Retreat zusammengestellt. Mittlerweile sind viele verschollen geglaubte tibetische Texte hauptsächlich im Drepung-Kloster und im Potala in Tibet wiedergefunden worden und stehen nun zur Verfügung. Mit Unterstützung des Mar-Ngok-Komitees, in dem über die letzten Jahre Carl Djung, Daniela König, Dr. Cecile Ducher, Westin Harris, Spencer Ames und Drubpön Rachel Dodds aktiv waren und sind, konnten
Sadhanas von Hevajra und Nairatmya auf Basis z.T. sehr alter Manuskripte erstellt und übersetzt werden. Es gibt Texte für Drubchens (Gruppen-Retreats über mehrere Tage, bei denen Tag und Nacht im Wechsel ununterbrochen praktiziert wird), für Einzelklausuren und für die tägliche Praxis.
Zum aktuellen Nairatmya Drubchen wurde ein wiederentdeckter Text von Ngok Zhedang Dorje neu ins Englische übersetzt. Diese Sadhana ist sehr nahe an der Originalpraxis von Marpa. Der übersetzte Text wird während des Retreats teilweise rezitiert, teilweise aber auch mit neuen Melodien gesungen. Dafür wurden Lobpreise, Gabendarbringungen usw. in Versform verfasst. Dies war der Wunsch von S.H., um die Praxis westlichen Praktizierenden näher zu bringen. In früheren Drubchens wurden damit schon gute Erfahrungen gemacht.
Das Milarepa Retreat Zentrum bietet als Hauptsitz der Drikung Kagyü Linie in Europa die besten Voraussetzungen für dieses besondere Event. Nach der großen Nairatmya-Einweihung am 29./30. Juni fand vom 1.-6. Juli das entsprechende Drubchen mit ca. 140 Teilnehmenden aus fast allen Teilen der Welt statt. Die Teilnehmenden des Nairatmya Drubchens praktizierten von Montagmorgen bis Samstagabend, so dass durchgehend, Tag und Nacht, mindestens fünf Personen die Meditationspraxis ausführten. Täglich wurden vier gemeinsame Sitzungen ausgeführt plus die Düsölma Schützer-Praxis. Zudem gab es von S.H. tiefgründige Unterweisungen zur Praxis und von anderen qualifizierten Lehrern wurden Vorträge zu weiteren Themen dieser Meditation gehalten.
Auch wenn schon mehrere Hevajra und Nairatmya Drubchens im Milarepa Retreat Zentrum durchgeführt wurden und viele Abläufe eingespielt waren, gibt es doch immer wieder neue Herausforderungen für den Einzelnen und für die Gruppe. In diesem Jahr traten ab dem ersten Retreat-Tag verschiedene Krankheitsfälle (Corona, Erkältungen usw.) auf. Durch das besonnene Handeln der Leitung in Absprache mit S.H. sowie verschiedene Maßnahmen und die Rücksichtnahme und Solidarität innerhalt der Gruppe konnte die Verbreitung auf ein überschaubares Maß eingeschränkt werden, so dass die weitere Durchführung des Drubchens nicht gefährdet war.
Abgeschlossen wurde das Drubchen am Sonntag (7.7.) mit einer Nairatmya Darbringungs-Puja sowie einer Feuer-Puja. Bei strahlendem Sonnenschein leitete S.H. dabei die Feuer-Puja auf dem schönen Außenterrain des Zentrums, umgeben von den Teilnehmenden. So wurden alle Fehler und Unreinheiten, die während des Drubchens oder in Verbindung mit der Praxis entstanden waren, gereinigt. Zu guter Letzt richtete Carolina Gravenreuth als Geschäftsführerin des Zentrums viele Dankesworte an S.H., die Rinpoches und anderen Lamas, die Leiterinnen der Praxiseinheiten, die Musiker und alle, die in den vielen Aufgabenbereichen ihre Fähigkeiten und Energien eingebracht haben.
Seine Heiligkeit gab anschließend einen Ausblick auf seine weitreichenden Pläne, die über das dreijährige Retreat, das er Mitte nächsten Jahr beginnen wird, hinausgehen und kündigte sein Kommen für 2029 an, um weitere Unterweisungen zu Hevajra/Nairatmya zu geben. Bis dahin ist die aktuelle Gruppe mit Choeze Kuchen Rinpoche als Vajra-Meister gefragt, jährlich im Wechsel ein Hevajra oder Nairatmya Drubchen für eine Woche durchzuführen. Eine gute Basis dafür ist nun vorhanden.
Christian Licht
[1] Drikung Kyabgön Thinle Lhundup, der 37. Thronhalter der Drikung Kagyü und die 7. Reinkarnation des Chetsang Rinpoche.