Erlebnisse der tibetischen Nonne Ani Dega
Flucht aus Tibet ins indische Exil
Am 23. März 1995 erreichte ich das Empfangszentrum von Dharamsala. Es war eine schwierige Reise nach Indien gewesen, aber den Dalai Lama zu treffen und seine Stimme zu hören, als er uns über unsere Reise befragte, brachte Tränen in unsere Augen und Freude in unser Herz.
Ich schloss mich einem Kloster in Südindien an, aber nach einiger Zeit erkrankte ich an Tuberkulose und kehrte zur besonderen Behandlung nach Dharamsala zurück. Während meiner Behandlung studierte ich im Kloster Dölma Ling. Eines Tages kam S.H. Drikung Chetsang Rinpoche nach Dharamsala. Meine Freundin Ani Nyima und ich gingen zu ihm, um mit ihm zu sprechen. Wir baten ihn, sich um uns zu kümmern und er nahm uns mit nach Drikung Jangchub Ling.
Für einige Zeit blieben wir im Kloster Jangchub Ling und 1997 wurde das Nonnenkloster Drikung Kagyü Samten Ling gegründet. Durch die Güte von Seiner Heiligkeit sind wir in der schönen Umgebung von Samten Ling sehr glücklich und wir haben die Möglichkeit zu lernen und den Dharma ohne irgendwelche Schwierigkeiten zu praktizieren.
Rückkehr nach Tibet
Am 21. April 2005 kehrte ich nach Tibet zurück, um meine Heimat und meine Familie wiederzusehen. Ohne Schwierigkeiten erreichte ich Lhasa. Am nächsten Morgen bei Sonnenaufgang sah ich den schönen Potala-Palast und ich fühlte, dass ich aufgrund meiner guten Handlungen hier war. Ich war so glücklich und Tränen liefen mir aus den Augen.
Nach meinem morgendlichen Tee ging ich zum Kloster und betete aus tiefstem Herzen. Ich kaufte Fahrscheine, um nach Hause zurückzukehren. Von Lhasa aus war ich drei Tage und drei Nächte auf der Straße unterwegs und es gab viel zu sehen. Die Landschaft war saftig grün und vereinzelt waren hier und dort Nomadenzelte zu sehen. Die Nomaden webten und trockneten Käse vor ihren Zelten. Die Menschen in meiner Heimatstadt waren damit beschäftigt, eine Heilpflanze zu sammeln, die ‚Sommergras-Winterinsekt’ genannt wird, aber meine Familienangehörigen warteten auf mich, wie ein Vogel auf den Regen wartet. Meine Mutter vergoss Tränen, streichelte meinen Kopf und sagte, dass es dem Segen der drei Zufluchtsobjekte zu verdanken sei, dass wir gesund sind und uns wiedersehen können. Sie sagte, ich sei groß geworden und drängte uns hineinzugehen, weil es draußen kalt geworden war.
Am nächsten Tag kamen viele Nachbarn und Bekannte, um mich zu begrüßen, aber ich kannte viele der Besucher nicht, denn sie waren erst nach meiner Ausreise geboren und einige waren die Kinder unserer Nachbarn. Zelte wurden errichtet und die Besucher waren wirklich glücklich, mich zu treffen und sie stellten viele Fragen. Wir sangen, tanzten, spielten gemeinsam Spiele und es gab auch Pferderennen.
Am 10. Oktober gab es eine große Versammlung zum Gebet, die ‚Ghangjong Mönlam’ genannt wird und an der ungefähr neuntausend Mönche und dreitausend Laien teilnahmen. Es gab nur vegetarisches Essen und der Sponsor dieser Gebetsversammlung war Tulku Thupten Chökyi Gyaltsen. Ich konnte in meinem Geburtsort viele Fortschritte erkennen.
Durch die Güte und die Gebete von S.H. Drikung Kyabgön Chetsang Rinpoche, von meinen beiden Sponsoren, Mitarbeitern des Klosters, von Lehrern und meinen Nonnenschwestern hatte ich unterwegs keine Schwierigkeiten. Ich traf meine Familienangehörigen nach langer Zeit wieder und ich kehrte sicher zum Kloster Samtenling in Dehra Dun zurück. Ich möchte allen für ihre Güte danken.
Indien, den 8. Dezember 2006
Drikung Kagyü Samtenling, Dehra Dun, U.A.
Übersetzung von Heinz-Werner Goertz
Aus Rundbrief 3/2008