Kailash-front

„DSCHIN-LAP DSCHE“ – Eindrücke einer Pilgerreise um den heiligen Berg Kailash

Mit den Worten des Titels grüßt man sich unterwegs um den heiligen Berg Kailash, um eine segensreiche Pilgerreise zu wünschen.

Seit ich im Jahr 2007 die Möglichkeit hatte, sechs Monate im Tibetan Medical and Astro Institut Mt. Kailash zu arbeiten, habe ich oft Heimweh.

Diesen Sommer hatte ich das Glück, Paten zu diesem Projekt in Westtibet zu begleiten. Höhepunkte der Reise waren die Diplomfeier der StudentInnen und die Pilgerwanderung, die sogenannte KAILASH-KORA.

Das Institut mit Schule, Klinik, Medizin-Herstellungsstätte und Gästehaus liegt am Fuß des Mt. Kailash im Dorf Darchen. Dies ist der Ausgangsort für die „Kailash-Kora“.

Die Einheimischen umrunden ihren „Khang Rinpoche“ – ewiges Schneejuwel – meistens in einem Tag. Mit Touristen nimmt man sich für die gut 52 km auf einer Höhe zwischen 4600 – 5660 m.ü.M. besser 3-4 Tage Zeit. So auch wir, im Juli 2009.

Aufbruch zur Umrundung

Am Morgen des ersten Tages umrunden wir zuerst in aller Stille die Mani-Mauer im Dorf. Eine Mauer aus unzähligen Steinen mit eingemeißelten Gebeten und mittendrin einem kleinen Chörten/einer Stupa. Danach führt uns ein Trampelpfad sanft steigend Richtung Westen. Die ersten Einheimischen überholen uns oder kommen uns entgegen. Wir grüßen uns freundlich mit  „DSCHIN-LAP DSCHE“, womit man sich eine gute Pilgerwanderung wünscht. Buddhisten, Jains und Hindus gehen im Uhrzeigersinn, Anhänger des Bön andersherum.

Als wir beim ersten Niederwerfungspunkt ankommen, werden wir beschenkt von der Aussicht auf unser Ziel: Mt. Kailash im Schneegewand, wie ihn die meisten Postkarten zeigen. Nicht immer zeigt er sich so sonnig klar. Manchmal versteckt er sich hinter Wolken oder im Nebel.

Es liegen einige Kleider und Schmuckstücke herum, welche Einheimische von verstorbenen Verwandten mitgenommen haben. Wenn sie selber schon nicht auf Pilgerreise gehen können, so soll wenigstens etwas aus ihrer Hinterlassenschaft den Kailash „sehen“.

Ankunft am Tarpoche

Weiter geht es leicht bergab Richtung Norden zum Tarpoche: dem Fahnenmast, wo jedes Jahr Saga-Dawa gefeiert wird: das Fest der Geburt und Erleuchtung des Buddha. Ich erinnere mich gerne an 2007, wo ich Saga Dawa hier feiern durfte. Die Klänge der Instrumente und Gebete der Mönche klingen in meinen Ohren nach, ebenso wie das Gebetsgemurmel und Geplauder der Einheimischen, die zum Zelt kommen, wo unsere Tibetischen Ärzte gratis Konsultationen und Medizin abgeben. Zum großen Gebet der Mönche werden an diesem Tag neue Gebetsfahnen an den Mast geknüpft und dieser mit vereinten Kräften wieder aufgestellt. Kaum steht der Tarpoche, gehen die Pilger auf Kora, die Umrundung des Berges.

Als wir diesen Sommer hier ankommen, erinnern die vielen Gebetsfahnen an das Fest. Wir schauen hoch zum Fahnenmast und auch zum Luftbestattungsplatz, der etwas oberhalb auf dem Felsen ist. Dann gehen wir durch den Chörten, der uns einlädt, altes hinter uns zu lassen und uns auf neue Wege zu machen.

Nach einer Weile kommen Nomaden-Tee-Zelte, wo wir uns eine Pause gönnen und für den weiteren Weg mit Tee und Suppe stärken. Gerne würden wir die Chökku Gompa besuchen. Doch sie klebt steil oben an der linken Felswand, und wir sind froh, wenn wir die Strecke schon ohne Abstecher schaffen. So genießen wir die Sicht auf den Kailash, bis dass er für unsere Augen hinter dem Berg verschwindet, um sich beim nächsten Niederwerfungspunkt von der Westflanke zu zeigen.

Ein Berg mit vielen Gesichtern

Aus jeder Sicht sieht er anders aus und doch ist es der gleiche Berg. Die Südansicht ist die bekannteste und einfach schön. Im Westen sieht er aus wie ein Schutzengel, der die Arme über einen unscheinbaren braunen kleineren Berg ausbreitet. Dann kommen Felswände mit wunderschönen Wasserfällen. Die Nordansicht hat etwas standhaftes und mächtiges. Dort übernachten auch die meisten Pilger, die mehr als einen Tag unterwegs sind. Bis dahin und auch an den nächsten Tagen kommen wir vorbei an Fußabdrücken und andern Spuren, die Buddha, Milarepa und andere große Meister im Stein hinterlassen haben.

Noch bevor wir die Nordseite erreichen, überqueren wir den Fluss, um abseits vom Übernachtungsrummel die ruhige Drira Gompa zu erreichen. Wir sind nicht wie andere mit Zelten unterwegs, sondern dürfen als Kleingruppe in den Gästezimmern des Klosters (tib. Gompa) übernachten. Immer wieder machen wir kleine Verschnaufpausen. Mal setzen wir uns auf einen Stein oder ins Gras, hier legen wir uns flach ins Moos. Die Landschaft ist karg und steinig. Die Gedanken werden bei jedem Schritt klarer.

Müde aber überglücklich erreichen wir Drira-Phuk, den Ort, der nach einer Legende des Dri (weibliches Yak) in einer Phuk (Höhle) benannt ist.

Wir sind froh, haben wir hier einen Ruhetag eingeplant. Dies gibt uns die Möglichkeit, in aller Ruhe den Kailash von der Nordseite zu genießen und die Drira-Gompa zu besuchen. Schon von Weitem hören wir ein Trommeln, ein junger Mönch ist ins Gebet vertieft. Wir dürfen uns zu ihm setzen und werden anschließend in der Klosterküche zum Tee eingeladen. Der junge Mönch möchte uns gerne zu den Gebetsfahnen Richtung Nordseite begleiten. Wer möchte, kommt mit. Es wird eine wunderschöne Wanderung, die uns bei den Gebetsfahnen zu den nächsten zieht, weiter oben, und von dort, … bis dass wir am Fuß des Gletschers sind. Hier bleiben wir eine Weile und finden keine Worte!

Der Aufstieg zum höchsten Punkt

Der nächste Tag wird der anstrengendste. Nach zwei Nächten auf 5000 m.ü.M. geht es weiter zum Pass Drölma la auf 5660 m.ü.M.! Er ist, wie er heißt, der Göttin Tara (tib. Drölma) geweiht.

Man sagt, dass man auf der Kailash-Kora die Phasen des Lebens und Sterbens durchläuft, um seine Fehler zu bereinigen. So lassen wir beim Shiva Tsal/ „Leichenacker“ eine Haarsträhne zurück, um Altes loszulassen. Weitere Rituale könnten auf dem Wegstück gemacht werden, welches den Bardo-Zustand symbolisiert, bis dass wir auf dem Pass ein neues Leben beginnen werden. Bis dahin wird die Luft noch dünner und die Beine schwerer, die letzten Schritte bis zum Drölma la sind klein und langsam.

Oben angekommen, ist die körperliche Anstrengung fast vergessen, während wir unsere Gebetsfahnen zu den vielen andern knüpfen. Die Freude ist groß! Ein Meer von bunten Gebeten flattert im Wind und geht hinaus in die ganze Welt.

Der Abstieg ist nicht mehr so anstrengend, tatsächlich fast ein wenig beschwingt geht es weiter. Vorbei am See des Mitgefühls, an weiteren Fußabdrücken und dann steil hinunter! OM MANI PEME HUNG steht auf den großen Mani-Steinen. Wenn man zurückschaut, sieht man auf der anderen Seite die Mantras der Bön-Tradition eingemeißelt. Die Sichtweisen verändern sich also, je nachdem, in welche Richtung man geht. So wie sich die Ansicht des Berges verändert oder unsere innere Sicht, vor und nach der Kora!

Reinigung am Berg

Unten im Tal stärken wir uns im Teezelt mit einer heißen Suppe, noch haben wir unser Tagesziel nicht erreicht. Weil es keine traditionelle Then-thuk gibt, begnügen wir uns mit chinesischer quick-noodlesoup.

Wer glaubt, dass es in Tibet nur Buttertee und Tsampa gibt, der irrt. Dies ist auch am Abfall rund um den Berg zu sehen. Man sieht in- und ausländische Verpackungen!

Deshalb gehen die Studenten der Tibetischen Medizinschule in Darchen ein- bis zweimal im Jahr auf Tsangra-Kora, was nichts anderes heißt, als Reinigungs-Kora. Da wird nicht nur das Karma, sondern auch der Weg gereinigt. Ich war im 2007 einmal mit dabei und könnte davon eine eigene Geschichte erzählen.

Damals ließen mich die Studenten keinen Abfall tragen, weil sie schon froh waren, wenn ich mit ihrem Tempo Schritt halten konnte, damit wir bis am

Abend die Kora schafften. So bin ich dankbar, dass ich dieses Jahr die Pilgerwanderung in vier Tagen genießen kann und motiviere meine Gruppe nach dem anstrengen Auf- und Abstieg weiterzuwandern. Unglaublich, wie man immer wieder Kraft bekommt für das, was vor einem liegt. So wandern wir den Bach entlang über Stock und Stein, vorbei am Niederwerfungspunkt, wo man knapp die Ostseite des Kailash sehen kann, bis nach Zutrul-Phuk.

Wir sind froh, als wir uns am Abend zum warmen Ofen setzen können, bestellen Reis mit Gemüse und lassen uns überraschen. Früh geht meine Gruppe zu Bett. Ich bleibe beim Gastgeber sitzen. Will er doch einiges über die Schweiz und seine Verwandten dort wissen. Er und seine Familie freuen sich über die Fotos und Geschenke, die ich ihm bringen darf. Einige Wochen später werden seine Geschenke und die Fotos von diesem Abend den Verwandten in der Schweiz überbracht. So bin ich von Herzen gerne Postbotin und lasse mich berühren von diesen besondern Begegnungen.

Der Weg ist das Ziel

Am letzten Tag unserer Kora wandern wir die letzten Kilometer aus dem Tal. Es erfreut uns mit wechselnd farbigem Gestein und öffnet sich immer weiter. Beim vierten Niederwerfungspunkt sehen wir auf die Ebene: der Heilige See Manasarovar und dahinter der Heilige Berg, die Gurla Mandata. Nicht nur das Tal und der Blick, auch das Herz hat sich geöffnet und es zieht uns das letzte Wegstück zurück ins Dorf Darchen. Wir begegnen ein paar bellenden Hunden und grasenden Yaks. Um unsere Kora bei der Mani-Mauer abzuschließen, wo wir sie vor drei Tagen begonnen haben, verlassen wir im Dorf die emsige „Hauptstraße“ und gehen hoch zum Fuße des Berges.

Glücklich erreichen wir unser Ziel, im Wissen, dass der Weg das Ziel ist!

Der Kailash, Kraftort in Form eines dreidimensionalen Mandalas, zusammen mit den vier Quellen in den Himmelsrichtungen, hat mich einmal mehr sehr berührt.

DSCHIN-LAP DSCHE

Mäde Müller / Metok Lhamo