Maitreya

Mahayana Uttaratantra Shastra (tib. Gyü Lama)

Auszug zur Einführung aus den Unterweisungen von Khenpo Könchog Tamphel

Ehrerweisung

Nach den Erklärungen zum Titel heißt es im Text:

Ich verbeuge mich vor allen Buddhas und Bodhisattvas.

Das bedeutet, dass man seine Verehrung gegenüber den Buddhas und Bodhisattvas erweist und es bedeutet, dass der Übersetzer die Ehrerweisung durchführt.

Am Anfang einer Schrift bringen die Übersetzer einem oder mehreren erleuchteten Wesen ihre Verehrung dar, um bei der Übersetzung auf keine Hindernisse zu treffen, so dass diese Aufgabe einen reibungslosen und unbehinderten Verlauf nehmen kann. Sie führen diese Verehrung auch durch, um Vertrauen und Hingabe in ihrem eigenen Geist zu erzeugen, denn Vertrauen ist die „Mutter aller Qualitäten“.

 

Allgemein kann man sagen, dass die Ehrerbietung davon abhängig ist, um welche Art von Erklärungen es sich handelt. Die Einteilung entsprechend den Drei Körben der Lehre ist wie folgt:

1. Vinaya (ethische Disziplin): Der Übersetzer erweist dem allwissenden Buddha seine Verehrung, wenn es sich z.B. um Texte oder Übersetzungen zum Vinaya, der ethischen Disziplin, handelt. Wenn sich ein Shastra also auf Erklärungen zum Vinaya bezieht, dann erweist man dem Buddha Verehrung, weil nur der Buddha dieses alles wirklich verstehen kann.

2. Sutra (Lehrreden): Wenn sich das Shastra auf ein Sutra des Buddha bezieht, dann führt man diese Verehrung gegenüber den Buddhas und Bodhisattvas durch. Dies ist so, weil die Sutras häufig aus Fragen und Antworten zwischen den Buddhas und den Bodhisattvas bestehen.

3. Abhidharma (Höheres Wissen): Wenn sich das Shastra auf einen Abhidharma-Text stützt, erweist man dem Bodhisattva Manjushri seine Verehrung, da er die Verkörperung der Weisheit ist.

Es folgt eine kurze allgemeine Erklärung zu den Objekten der Ehrerbietung.

Wenn man das Wort „Buddha“ erklären möchte, dass hier in dieser Verehrung verwendet wird, kann man Folgendes sagen: „Budd“ (tib. Sang) heißt „Erwachen, Aufwachen“. Das ist wie das Aufwachen aus dem Schlaf. Wenn wir z.B. schlafen und jemand schüttet uns Wasser ins Gesicht, dann wachen wir auf. Ebenso bedeutet hier dieser erste Teil „Budd“ das „Erwachen“. Wenn man diese Silbe „Budd“ genauer untersucht, bedeutet sie, dass alles beseitigt ist. Das heißt, dass der Buddha den Schlaf der Verblendungen und der Unwissenheit beseitigt hat und wirklich erwacht ist.

Dann kann man das Wort Buddha auch in Bezug auf die Verwirklichung eines Buddha erklären. Ein Buddha ist jemand, der die Verwirklichung erlangt hat. Weil der Buddha frei ist von allen Verschleierungen, ist seine Verwirklichung vollkommen. So, wie wenn die Sonne scheint oder der Lotus voll erblüht, ist es auch, wenn die Verblendungen vollständig beseitigt sind. Dann kann die Weisheit des Buddha vollständig scheinen oder erblühen.

In Tibetisch heißt BuddhaSang-gye“: „Sang“ bedeutet aufwachen und „Gye“ ausdehnen. So, wie sich in diesem Haus viele schöne Dinge befinden, kann man diese aber nicht sehen, wenn es dunkel ist und wenn kein Licht da ist. Aber wenn dann die Sonne scheint, können alle diese Dinge sichtbar werden. Genauso ist es auch, wenn die Verschleierungen und die Unwissenheit beseitigt werden: dann können alle Qualitäten des Geistes erstrahlen. Es ist also nicht so, dass man diese Qualitäten erst erschaffen müsste, sondern die Qualitäten sind schon immer da. Aber erst dadurch, dass man aus dem tiefen Schlaf der Unwissenheit erwacht, ist es möglich, dass die Dunkelheit verschwindet und das Licht der Weisheit scheinen kann. Dann können alle Qualitäten erstrahlen und klar erscheinen.

Die Bodhisattvas sind die Söhne und Töchter des Buddha. Ein Bodhisattva hat zwei verschiedene Ausrichtungen. Die erste Absicht oder das erste Ziel, das er hat, ist das Erlangen der Erleuchtung. Das zweite Ziel ist, dass er aufgrund seines Mitgefühls zum Wohl aller fühlenden Wesen wirken möchte. So hat der Geist eines Bodhisattva zwei Absichten oder Ziele und er besitzt Weisheit und Mitgefühl. Die Weisheit erlaubt es den Bodhisattvas, frei von den Befleckungen des Samsara zu sein und durch das Mitgefühl können sie sich zum Wohle der Wesen manifestieren. So verweilen sie nicht in den Extremen von Samsara und Nirvana.

Auf Tibetisch heißt Bodhisattva „Jangchub Sempa“ (sprich: Dschang Tschub Sempa). Der erste Teil „Jang“ bedeutet „rein“, d.h. dass die Bodhisattvas frei sind von den störenden Gefühlen. „Chub“ bedeutet, dass man mit etwas ausgestattet ist oder dass man von etwas „getränkt“ oder durchdrungen ist. Der Geist der Bodhisattvas ist ausgestattet oder durchdrungen von den Qualitäten der Buddhaschaft.

„Sattva“ heißt auf Tibetisch „Sempa“ und bedeutet, dass die Bodhisattvas sehr mutig sind. Sie haben keine Angst bei der Vorstellung, dass sie sich endlos im Samsara aufhalten müssen oder aufhalten werden, um den fühlenden Wesen zu helfen und dass sie noch unzählig lange Zeit auf dem Pfad fortschreiten, um Qualitäten zu erlangen, damit sie für die fühlenden Wesen wirken können. Dieser Mut, den die Bodhisattvas haben, wird durch die Silbe „pa“ in dem Wort „Sempa“ ausgedrückt. Dieses „pa“ bedeutet „Mut“ und damit ist dieser Mut der Bodhisattvas gemeint.

Zusammen kann man sagen, ein Bodhisattva („Erleuchtungs-Wesen“) ist frei von den störenden Gefühlen, mit allen Qualitäten ausgestattet und hat den großen Mut, unermüdlich zum Wohle der Wesen zu wirken.

Einteilung im Uttaratantra Shastra

Mit den nächsten vier Zeilen beginnt das eigentliche Shastra. Es heißt

 [1] Der vollständige „Körper“ der Abhandlung (Skrt. Shastra)
kann in den folgenden sieben Vajra-Punkten zusammengefasst werden.
Diese sind: (1) Buddha, (2) Dharma, (3) Sangha, (4) das Element ,
(5) die Erleuchtung, (6) die Qualitäten [der Erleuchtung] und (7) die Buddha-Aktivitäten.

Dies sind also die sieben Kapitel und darin sind die Ausführungen vollständig enthalten. Das gesamte Shastra beschreibt diese sieben Punkte, die als „Vajra-Punkte“ bezeichnet werden. Hier in der Übersetzung heißt es „das Element“. Damit ist die Buddha-Natur gemeint.

(1) Buddha

Das Wort Buddha oder das, was mit dem Begriff „Buddha“ gemeint ist, ist das, was wir letztendlich erreichen möchten. Es ist unser Ziel. Buddha ist unser Ziel. Das ist der Zustand, in dem der Nutzen für uns selbst und für die Anderen vollkommen ist. Wenn man die Buddhaschaft erlangt, hat man den Nutzen für sich Selbst vollkommen erreicht, indem man frei vom Samsara ist und man hat den Nutzen für die Anderen erreicht, indem man den Dharmakaya verwirklicht hat. Mit der Buddhaschaft kann man den Nutzen für Andere erfüllen, weil man aus dem Dharmakaya zahlreiche Manifestationen und Aktivitäten zum Wohle von Anderen hervorbringen kann.

(2) Dharma

Der zweite Vajra-Punkt ist der Dharma. Dieser beinhaltet die zwei Kategorien der relativen und der absoluten Wahrheit. Der Dharma wurde gelehrt, um frei zu werden von Anhaftung. Wenn wir vom Dharma sprechen, dann denken wir normalerweise zunächst an die Dharma-Texte. Wenn wir aber vom Dharma sprechen, der frei von Anhaftung ist, dann ist damit der Pfad gemeint, dem wir folgen. Der Dharma erklärt die Gegenmittel gegen die störenden Gefühle, wie z.B. gegen Anhaftung. Wenn man den Dharma dann realisiert, wird er zu einem Mittel der Befreiung von der Anhaftung (und den anderen Geistesgiften).

(3) Sangha

Der dritte Vajra-Punkt ist der Sangha, das ist die so genannte spirituelle Gemeinschaft. Mit Sangha bezeichnet man jemanden, der die zwei Arten von Weisheiten besitzt. Diese Weisheiten sind zum einen die Weisheit, dass man die Phänomene so wahrnimmt, wie sie sind und die zweite ist die Weisheit aller Phänomene, die existieren.

Im Uttaratantra bedeutet das, dass man sich der Natur der Reinheit des Geistes bewusst ist. Das heißt, dass man die Phänomene so erkennen kann, wie sie wirklich sind. Die Weisheit, dass man erkennt, dass alle Wesen diese reine Natur des Geistes in sich tragen, ist der zweite Aspekt der Weisheit. Um es einfacher zu sagen: Die Erkenntnis über die Reinheit der eigenen Natur des Geistes ist die erste Weisheit und die Verwirklichung oder die Erkenntnis darüber, dass alle fühlenden Wesen diese Reinheit der Natur des Geistes in sich tragen, ist die zweite Weisheit.

(4) Element

Der vierte Vajra-Punkt wird als „Element“ bezeichnet. Dies bezieht sich auf die eingeborene Reinheit des Geistes, die Buddha-Natur. Ganz gleich, wie dick die Schichten der Verschleierungen sind, dahinter verbirgt sich die reine Natur des Geistes, die ohne Verschleierungen ist. Aufgrund dieser eingeborenen Reinheit des Geistes ist es möglich, auch wenn viele negative Gedanken in unserem Geist sind, dass Gedanken von Liebe und Mitgefühl

oder Hingabe im Geist entstehen können. Dies wäre nicht so, wenn der Geist von den negativen Dingen wirklich verschmutzt werden könnte. Dadurch, dass die eigentliche eingeborene Natur des Geistes rein ist, kann man in jedem Moment diese Qualitäten von Liebe, Mitgefühl usw. entwickeln.

(5) Erleuchtung

Wenn der Geist frei von den Verschleierungen wird, nennt man dies „Erleuchtung“. Solange der Geist von Verschleierungen umgeben oder eingeschlossen ist, bezeichnet man ihn als „Element“, aber wenn er frei von diesen Verschleierungen ist, bezeichnet man ihn als Buddha oder als Erleuchtung. Weil der Buddha vollständig frei von allen Verschleierungen ist, hat er die Erleuchtung erlangt.

(6) Qualitäten und (7) Aktivitäten

Wenn man Erleuchtung erlangt, erlangt man damit gleichzeitig die großen Qualitäten des Dharmakaya. Dies geschieht dadurch, dass die Verschleierungen beseitigt und durch die angesammelten Verdienste die Qualitäten hervorgebracht werden können. Wenn die Wolken vor der Sonne entfernt werden, können unzählige Lichtstrahlen von der Sonne ausstrahlen, weil es die Natur der Sonne ist, diese Lichtstrahlen auszusenden. So ist es auch, wenn man die Verschleierungen beseitigt. Der Dharmakaya zeigt alle Qualitäten oder bringt alle Qualitäten hervor. Die Qualitäten der Erleuchtung werden in den zweiunddreißig Merkmalen der Erleuchtung dargestellt. Aufgrund des Heranreifens der Verdienste entstehen die Zeichen eines Buddha (32 Haupt- und 80 Nebenmerkmale).

Die sieben Vajra-Punkte sind alle voneinander abhängig

1.    Zunächst gibt es (den) Buddha.

2.    Durch den Buddha kommt der Dharma. Wenn es keinen Buddha gibt, dann gibt es auch keinen Dharma.

3.    Wenn der Dharma vorhanden ist, entsteht der Sangha. Ohne Dharma gibt es keinen Sangha.

4.    Durch den Sangha gibt es das Element. Ohne Sangha ist das Element nicht vorhanden.

5.    Durch das Element ist es möglich, die Erleuchtung zu erlangen. Wenn es das Element nicht gibt, gibt es keine Erleuchtung

6.    Durch die Erleuchtung erlangt man die Qualitäten (der Erleuchtung).

7.    Diese Qualitäten drücken sich dann in den Buddha-Aktivitäten aus. Diese sind spontan, unermesslich und endlos.

Über diese Punkte sollten wir nachdenken.

Hier ist es so, dass Buddha, Dharma und Sangha nicht als äußere Objekte betrachtet werden, sondern sie stehen in Beziehung zu unserem eigenen Geist. Wenn wir z.B. Erleuchtung erlangen, dann werden wir zu einem Buddha und haben ganz automatisch die verschiedenen Qualitäten eines Buddha. Dadurch können wir auch den Dharma lehren, der dann wirklich zum Wohle der fühlenden Wesen ist.

Diese Punkte hängen eng mit unserem eigenen Geist zusammen und die Reihenfolge der Punkte, wie sie hier im dieser Abfolge gegeben ist, hängt damit zusammen, wie die Entwicklung in unserem Geist stattfindet. Diese Reihenfolge ist wie ein Kreislauf: dass der Buddha den Dharma lehrt und dass aufgrund des Dharma dann der Sangha entsteht, der dann die zwei Weisheiten hervorbringt. Diese Weisheiten sind der vierte Punkt, der das Element betrifft. Dadurch wird die Erleuchtung erlangt und anschließend die Qualitäten, die mit der Erleuchtung zusammenhängen. So werden dann die Buddha-Aktivitäten ausgeführt. Das bedeutet, dass die Buddhas wieder den Dharma lehren, wodurch der Sangha entsteht und so weiter. So sind diese sieben Vajra-Punkte wie ein Kreislauf, der sich immer wieder dreht.

Warum werden diese Punkte nun Vajra -Punkte genannt? Sie werden so genannt, weil sie sehr tiefgründig und schwer zu verstehen sind. Wir müssen Erklärungen hören und darüber reflektieren. So wie ein Diamant nicht durch andere Materialien wie Metall, Steine oder ähnliches beeinträchtigt oder zerstört werden kann, genauso können auch diese Vajra-Punkte nicht durch irgendwelche anderen Lehren zerstört werden, weil sie die tiefgründigsten oder höchsten Lehren darstellen. Dies bezieht sich auf die Worte, die hier in diesem Shastra verwendet werden, um diese sieben Vajra-Punkte zu erläutern. In den Worten dieses Textes sind die sieben Vajras enthalten.

Aus Rundbrief 2/2009