Wir hatten das Glück an der kompletten Veranstaltung teilnehmen zu können – und so gerieten wir zunächst in die abschließenden Vorbereitungen. Die Stadt hieß uns mit bunten Gebetsfähnchen willkommen, die Stadthalle war gerade fertiggestellt worden und schaute mit dieser besonderen Veranstaltung quasi ihrer Einweihung entgegen. Nach anfänglichen organisatorischen Schwierigkeiten gelang es nicht zuletzt durch den Einsatz der zahlreichen HelferInnen die Abläufe so zu gestalten, dass jede/r seinen Platz fand. Immerhin galt es seitens des Kalachakra Komitees Graz 2002 für 8000-10000 TeilnehmerInnen aus aller Herren Länder einen friedvollen geordneten Ablauf zu organisieren. Wir meinen im Nachhinein, dass dies gut gelungen ist, so dass wir uns auf die einzelnen Programmpunkte gut einstellen konnten. Für die ortsansässige Bevölkerung hielt Seine Heiligkeit der Dalai Lama vor Beginn der Veranstaltung einen öffentlichen Vortrag, der bereits restlos ausverkauft war.
In den darauffolgenden Tagen hatten die TeilnehmerInnen der Veranstaltung Gelegenheit, an unterschiedlichen spirituellen Veranstaltungen teilzunehmen.
Die vorbereitenden Rituale zur Kalachakra Einweihung wurden unter der Leitung Seiner Heiligkeit des Dalai Lama von den Mönchen des Klosters Namgyal ausgeführt. Sie begannen bereits früh morgens und schlossen die Streuung des Sandmandalas mit ein.
Begleitend zu den rituellen Opfertänzen der Mönche waren am siebten Tag eine tibetische und eine steirische Volkstanzgruppe zu erleben. Die Gleichzeitigkeit der religiösen Ritualtänze und der volkstümlichen Aufführungen hat uns tief beeindruckt und war durch die prägnanten Unterschiede der Traditionen und der Aussagekraft sicher nicht nur für uns ein außergewöhnliches Erlebnis.
In den Tagen vor der Kalachakra Einweihung gab seine Heiligkeit der Dalai Lama tiefgründige Belehrungen zu den Texten "Die mittleren Stufen der Meditation" von Kamalashila, "Die 37 Übungen der Bodhisattvas" von Thogme Zangpo, "Die Lampe auf dem Pfad zur Erleuchtung" von Lama Atisha. Seine Heiligkeit hielt die TeilnehmerInnen nachdrücklich dazu an, sich weiter mit diesen Texten vertraut zu machen, um dem jetzigen Leben einen tieferen Sinn zu geben und diese kostbare Gelegenheit nicht als touristische Veranstaltung an sich vorüberziehen zu lassen. Es war uns eine besondere Freude, dass die ehrwürdigen Repräsentanten der fünf spirituellen tibetischen Traditionen linienspezifische Unterweisungen erteilten.
Vertreten waren Lopön Tenzin Namdak Rinpoche für die Bön Tradition, Kyabje Shechen Rabjam Rinpoche für die Nyingmapa Tradition, Kyabje Sakya Trizin Rinpoche für die Sakyapa, Kyabje Drikung Chetsang Rinpoche für die Kagyüpa, Kyabje Ganden Tripa Rinpoche für die Gelugpa.
Wir meinen, dass es so möglich war, einen guten Vorgeschmack davon zu erhalten, was die spezifischen Ausformungen der jeweiligen Linien beinhalten.
Die letzten drei Tage waren den tantrischen Einweihungen gewidmet, die aus einer Reihe komplexer Meditationen und Visualisationen bestehen. Der Text des Kalachakra Tantra "Rad der Zeit" – beschreibt Phänomene in äußeren und inneren Zeitzyklen sowie Wege zu deren Harmonisierung.
Für alle TeilnehmerInnen gab es nach Abschluss der Einweihungszeremonie die Gelegenheit, das Sandmandala zu besichtigen.
Am letzten Tag der Veranstaltung fand eine Langlebenseinweihung durch Seine Heiligkeit den Dalai Lama statt. Später am Tag enthüllte sich uns das Rätsel einer kleinen Treppe, die an der Mur, dem Fluss durch Graz, angelegt worden war. Im Beisein etlicher ZuschauerInnen streute Seine Heiligkeit der Dalai Lama hier das aufgelöste Sandmandala in das Wasser. Wir waren sehr glücklich, an dieser Veranstaltung teilnehmen zu können.
Martin Fleischer / Eva Dorgeloh
Aus Rundbrief 1/2003