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Erstellung einer lebensgroßen Statue des Königs Songtsen Gampo

Liebe Freunde,

Seit meiner Ankunft im Februar wollte ich dieses außergewöhnliche Projekt mit Euch teilen, aber erst jetzt kommen die Dinge ein klein wenig zu Ruhe. S.H. Chetsang Rinpoche bat mich nach Indien zu kommen, um bei der Fertigstellung einer großen Statue mitzuarbeiten. Frisch angekommen übertrug er mir weitere Aufgaben, so dass ich jetzt für alle Kunstprojekte und zusätzlich zum Erbauen einer lebensgroßen Reiterstatue des Königs Songtsen Gampo die Aufsicht habe.

Um dieses zu tun musste ich viel über die tibetische Geschichte lernen. Erst jetzt fange ich an, die Bedeutsamkeit seiner Vision zu begreifen. Die Songtsen Library (die von S.H. Chetsang Rinpoche begonnene, groß angelegte internationale Bibliothek in Dehra Dun, Anm. d.Ü.) wird, zusätzlich zum Archivieren von tibetischer Geschichte, einen besonderen Schwerpunkt in den Dokumenten aus der Dunhuang Region Tibets haben. Diese Gegend befindet sich an der Seidenstraße, und es befinden sich dort viele Höhlen mit Höhlenmalereien und Statuen. Man hat tausende von Texten aus dem 6. Jh. (u. Zt.) entdeckt, die bis jetzt noch unübersetzt sind. Ein sehr wichtiger Fund, da es nur wenige Zeugnisse über die tibetische Frühgeschichte, das tägliche Leben und die Kunst gibt.

 

Außerdem gibt es aufgrund des damaligen Handelsverkehrs von Italien aus bis nach China eine Vielzahl von Kultureinflüssen in der Kunst, die spektakulär ist. S.H. möchte, dass unsere Kunst diese Zeit widerspiegelt und zwar so historisch genau wie möglich. Ich bin zu den großen Bibliotheken von Varanasi und Dharamsala sowie zu den Museen von Delhi gereist, um die Statue zu recherchieren und eine Gießerei zu finden, die eine 9 Fuß (etwa 2,75m) hohe Statue wird gießen können. Kein leichter Job! S.H. brach eine Woche nach meinem Eintreffen zu seiner Weltreise auf und bat, dass die 40 Fuß (über 12m) hohe Decke mit fliegenden weiblichen Gottheiten im Stil jener Zeit bemalt werden, die Türe aufwendig bemalt werden, eine 1000-armige Chenresig-Statue fertig gestellt und angebracht wird und 1000 Tsatsas gemacht werden mögen, abgesehen von vielen kleinen Arbeiten zuzüglich zu der Statue selber und alles dies noch vor dem Besuch des Dalai Lama im März 2003.

Inzwischen wurden 15 Künstler, die sechs verschiedene Sprachen sprechen, gefunden sowie Kunstmaterialien aus den Basaren Delhis und der ganzen Welt. Auch mein Tibetisch hat sich verbessert. Ich könnte ein ganzes Buch über interkulturelle Vertrauensbildung schreiben! Wir mussten alle unsere kulturellen Scheuklappen ablegen, um in die Vision S.H. einzusteigen. Es hat einen Monat gedauert und einen tibetischen Historiker gebraucht, um Rinzin davon zu überzeugen, dass ich S.H. treulich vertrat und nicht irgendeine verrückte Ausländerin sei. Die meisten Tibeter haben diese Bilder weder gesehen noch davon gehört, und sie unterscheiden sich bedeutend von dem, was man allgemein für tibetische Thangka-Malerei hält. Von daher wissen wir, dass es manche Besucher wohl überraschen wird, die sich fragen werden, was wir bloß getan haben, denn unsere Aufgabe ist es, eine Tradition zu erhalten, die sich wahrscheinlich zeitlich spät herauskristallisiert hat, danach aber hunderte von Jahren unverändert blieb.

Mein Hauptmaler spricht den Kham Dialekt und selbst die meisten Tibeter verstehen ihn nicht. Aber auch ohne eine gemeinsame Sprache sind wir gute Freunde geworden, zumindest respektieren wir uns sehr. Er ist frisch in Indien angekommen und ich muss dabei lachen, dass wir, die wir ja kein Hindi sprechen, die Mineralien und Pulver finden müssen, die traditionell verwendet werden. Wir haben viel Hilfe erfahren. Wir mussten über die indischen Materialien und Techniken genau wie die anderen lernen. Die Türmaler mussten viele Vorträge über Farbgrundierungen ertragen, denn ich will, dass die Farbe dauerhaft hält. Sechs Maler werden 2-3 Monate dafür brauchen.

S.H. möchte im Grunde eine Renaissance-Statue herstellen lassen, was eine große Herausforderung ist. König Songtsen Gampo war der erste König, der den Buddhismus nach Tibet brachte, aber er vereinte Tibet auch aus den kleinen regionalen Völkerstämmen, entwickelte das Alphabet und schuf den Sittenkodex: Alexander der Große, der Hl. Petrus, Akhenton und George Washington in einem! Ich mache ein verkleinertes Modell, dass in Varanasi (wo ich wohne, bis der Lehm fertig ist) vergrößert werden wird. Das heißt, ein anderer Mönch, den ich in Bildhauerei ausbilde, wird mich begleiten, da die Arbeiter nur Hindi sprechen. Ein einziger Mann aus der ganzen Kompanie spricht Englisch. Sie werden mir ein Zimmer in ihrem Haus geben, und ihre Familie wird uns das Essen anbieten. Ich werde anfangen, Hindi zu lernen! Danach werden sie innerhalb von sechs Monaten die Statue gießen, vom Lehmzustand über Gips bis zum Wachs. Verstanden hat uns zwar ein einziger Bildhauer, aber sie verwenden völlig andere Methoden. Ein Fehler, und man muss komplett von vorne anfangen. Dabei erscheinen einige der Methoden unmöglich. Darum werde ich nervös bleiben, bis alles fertig gestellt ist. Jetzt läuft es aber vorerst glatt, auch wenn es mir wie der Turmbau zu Babel vorkommt. Meine Verpflichtung ist es zu bleiben, bis das Kunstwerk fertig ist und ich ahne, dass es noch ein Jahr oder so dauern kann. 2004 sind wir Gastgeber einer großen Fachkonferenz über tibetische Kunst, und ich könnte dort auch als Beraterin arbeiten. Wir nehmen ein Video auf, um den ganzen Kunstprozess zu dokumentieren und ich mache auch Dias, die ich Euch dann zeigen kann.

Es ist ein unglaubliches Privileg, und hätte ich nicht so viel beim Stupa-Bau gelernt, würde ich diesen Job niemals schaffen können. Wenigstens beim Stupa sprachen wir eine Sprache, konnten telefonieren und leicht Läden finden. Das tägliche Leben ist einfach. Wir haben gute Zimmer und heiße Duschen. Strom ist phasenweise vorhanden, so auch die Telefonverbindung und das Wasser. Einfaches Essen und eine sechstägige Arbeitswoche. Die Hitze beträgt momentan 114 °F oder 44 °C in Delhi. Atmen heißt schwitzen, für die, die verstehen, ein einziger unablässiger heißer Blitz. Ich bin jetzt die einzige Westlerin hier, abgesehen von gelegentlichen Touristen. Die Gärten sind in voller Pracht, und wir haben den Segen von S.H. und Achi, dass wir so gut zusammen arbeiten. Die Schwester S.H. ist momentan Chefin. Sie hat ein tolles Buch über ihr Leben geschrieben, "In Lhasa geboren", das ich sehr empfehlen kann.

Schickt Gebete, dass all die Arbeit gut und pünktlich zum Termin gemacht wird, und falls jemand es irgendwie schafft ein Grundiermittel für Goldfarbe zu schicken, das brauche ich am allermeisten, abgesehen von einem guten Capuccino und der Gesellschaft von Euch, meinen lieben Freunden.

Alles Liebe

Ani Nyima Drolma