bhava

Die vier Gedanken, die den Geist ausrichten

Die Kontemplation über den Kostbaren Menschenkörper
als ein Mittel, dieses Leben mit Bedeutung zu füllen

Auf dem Weg zur Erleuchtung gibt es viele Hindernisse. Der menschliche Körper wird als "kostbar" bezeichnet, weil mit diesem Fahrzeug alles Unheilsame vermieden und Heilsames erreicht werden kann. Man kann mit ihm den Ozean des Samsara überqueren und den Pfad der Erleuchtung, der zur vollkommenen Buddhaschaft führt, vollenden. Aus diesem Grund ist der menschliche Körper allen anderen, einschließlich dem der Götter und Nagas, überlegen. Er ist in der Tat kostbarer als das wunscherfüllende Juwel, denn dieses erfüllt nur weltliche Wünsche, während das menschliche Leben den Wunsch zur Erlangung der Buddhaschaft erf üllen kann.

Da dieser Vorzug nur schwer zu erlangen ist, müssen wir Ethik und Moral achten und die zehn heilsamen Handlungen praktizieren. Diese wunderbare Gelegenheit zur Praxis dürfen wir nicht vergeuden, denn sie ist außerordentlich selten.

Hat man dieses Glück erreicht, sollte man darüber erfreut sein und diese Möglichkeit vollständig nutzen, sowohl für sich selbst als auch für andere. Man sollte in der Tat das menschliche Leben wie ein Schiff benutzen, mit dem man den Ozean des Samsara überqueren kann.

Es entsteht die Frage, warum wir nicht schon früher erleuchtet wurden, wenn wir doch schon viele Male zuvor als menschliche Wesen geboren wurden und spirituelle Meister getroffen haben? Der Grund liegt darin, dass wir durch falsche Ansichten Anhaftung an dieses Leben, Anhaftung an weltliche Vergnügungen und Trägheit und Anhaftung an unsere eigene Befreiung hatten und die Methoden zur Erlangung der Buddhaschaft nicht verstanden haben. Um diese falschen Ansichten zu beseitigen, gibt es vier Gegenmittel:

  1. die Kontemplation über die Vergänglichkeit
  2. die Kontemplation über das Leiden in Samsara
  3. die Kontemplation über Karma
  4. die Praxis der Liebe und des Mitgefühls
    und die Entwicklung von Bodhicitta.

Die Kontemplation über die Vergänglichkeit
als ein Mittel gegen die Anhaftung an dieses Leben

Der Buddha hat gesagt:

" Die ganze Welt ist so vergänglich
wie Wolken am Herbsthimmel.
Geburt und Tod
sind wie die Bewegungen eines Tänzers."

Wir sollten über den Tod meditieren, über die immer geringer werdende Zeit, die noch verbleibt, und über die Unvermeidlichkeit von Trennung.

Es ist sicher, dass jeder, der jemals geboren wurde, auch sterben wird. Sogar große Meister mit hohen Qualitäten, berühmte oder wohlhabende Leute – alle erfahren den Tod. Es gibt kein Entkommen. Ein Grund für die Gewissheit des Todes ist, dass der Körper aus vielen Elementen zusammengesetzt ist, und dass alle Dinge, die zusammengesetzt sind, auch wieder zerfallen. Das ist das Wesen der Ver änderung.

In den Sutras heißt es: Es gibt keine Gewissheit darüber, was uns morgen erwartet – das Leben in diesem Körper oder in einem anderen. Deshalb ist es klüger, sich für das nächste Leben anzustrengen, als Pläne für dieses zu machen. Der Buddha hat au ßerdem gesagt:

"Auf die Geburt folgt der Tod,
auf das Zusammensein folgt die Trennung,
auf den Gewinn folgt der Verlust
und auf den Aufbau folgt die Zerst örung."

Eine nutzbringende Wirkung der Meditation über die Vergänglichkeit ist, dass wir durch das Verständnis der Natur von Aufbau und Zerfall lernen, uns von der Anhaftung an dieses Leben zu lösen. Die Lehren, weit davon entfernt, pessimistisch zu sein, wie manche Leute glauben, führen zu geistigem Frieden, indem sie uns veranlassen, die Anhaftungen an das, was kein dauerhaftes Glück bringen kann, aufzugeben. Sie stützen die Motivation zur Erlangung der Erleuchtung und helfen, von Hass frei zu werden. Durch sie haben wir die M öglichkeit, den Gleichmut des Dharma zu verwirklichen.

Die Kontemplation über das Leiden im Samsara
als ein Mittel, die Anhaftung aufzugeben

Wenn man denkt, man kann den Tod akzeptieren, weil man im Menschen- oder Götterbereich wiedergeboren werden könnte, wo man viele Annehmlichkeiten genießen kann, so ist das nichts weiter als bloße Anhaftung an Samsara. Ein Mittel gegen diese Anhaftung ist die Meditation über die negativen Aspekte von Samsara, um seine Wesensart zu verstehen.

  1. Es gibt im allgemeinen drei Arten des Leidens:

    das allesdurchdringende Leiden (die ursprüngliche Ursache allen Leidens: die Vergänglichkeit des nichterleuchteten Körpers);
  2. das Leiden der Veränderung (die Vergänglichkeit von Friede und Glück);
  3. körperliches und geistiges Leiden (Krankheit, Depression usw.).

Zum Verständnis dieser Leiden können sie folgendermaßen definiert werden:

  1. allesdurchdringendes Leiden ist wie das Unbehagen, das durch ein unterschwelliges Geschw ür erfahren wird
  2. das Leiden der Veränderung ist, als ob man vergiftete Speisen gegessen hat.
  3. das körperliche und geistige Leiden ist wie der Schmerz durch ein entzündetes Geschwür.

Das allesdurchdringende Leiden verursacht ein Gefühl der Teilnahmslosigkeit; das Leiden der Veränderung verursacht einen irreführenden Eindruck des Wohlbefindens; das körperliche und geistige Leiden ruft Qual hervor.

Der Körper, gebildet aus den fünf Skandhas, ist die Grundlage von körperlichen und geistigen Leiden. Seit dem Moment, in dem wir in ihn eingetreten sind, erfahren wir Leiden, das durch die Empfindung des Schmerzes hervorgerufen wird.

Das Leiden im menschlichen Zustand beinhaltet acht Arten des Leidens:

  1. Geburt
  2. Alter
  3. Krankheit
  4. Tod
  5. Trennung von geliebten Menschen
  6. Zusammentreffen mit Feinden
  7. Verlangen nach dem, was man nicht bekommen kann
  8. Verlust von dem, was man besitzt.

Zusammengenommen sind dies die grundlegenden Leiden aller Menschen, ob sie nun von hoher oder niederer Geburt, arm oder reich sind.

Samsara durchdringt alle sechs Bereiche. Aus diesem Grund ruft die Geburt in jedem dieser Bereiche Leiden hervor. Wir alle leben in einem Ozean des Leidens. Indem wir die Realität von Samsara erkennen und die Anhaftung an die sechs Bereiche aufgeben, sind wir in der Lage, einen vom Leiden befreiten Geist zu entwickeln und somit die Erleuchtung zu erreichen.

Die Kontemplation über Karma als ein Mittel,
die Zusammenhänge der Phänomene zu erkennen

Karma ist das Gesetz von Ursache und Wirkung. Sämtliches Leiden in allen Bereichen des Samsara wird durch negatives Karma verursacht. Alle positiven Resultate werden durch tugendhaftes Karma verursacht.

Karma wird durch all die Verschiedenartigkeiten des Samsara verursacht, heißt es im Abhidharmakosha. Insbesondere wird es durch die zehn heilsamen und die zehn unheilsamen Handlungen in Bewegung gesetzt.

Die grundlegenden Ursachen unheilsamer Handlungen sind Unwissenheit, Begierde und Hass. Daher ist es wichtig, diese störenden Gefühle aufzulösen.

Die Selbstzuschreibung von Karma

Die Folgen einer Handlung werden immer von dem geerntet, der den Samen dieser Handlung gelegt hat und von niemandem sonst. Wäre das nicht der Fall, würde es bedeuten, dass unsere Handlungen keine Konsequenzen zur Folge hätten, oder dass wir Leidtragende negativer Handlungen wären, die wir gar nicht begangen haben. Keines davon ist richtig.

Die folgerichtige Wirkung von Karma

Positive und negative Handlungen werden unausweichlich positive bzw. negative Wirkungen hervorbringen. So wird beispielsweise ein giftiger Samen Gift produzieren und ein heilkr äftiger Samen Medizin.

Unbedeutendes Karma bewirkt ein beträchtliches Resultat

So wie ein kleines Samenkorn einen großen Baum und viele Früchte hervorbringen kann, so kann auch eine unbedeutende Handlung (positiv oder negativ) bedeutende Konsequenzen haben.

Die Unausweichlichkeit von Karma

Solange das Karma nicht durch ein Gegenmittel aufgelöst, bzw. gereinigt ist, kann es in Tausenden von Kalpas unverändert bestehen bleiben, bis bestimmte Bedingungen es schließlich veranlassen, seine unausweichliche Wirkung hervorzubringen. In den Sutras sagt der Buddha:

"Feuer mag kalt werden,
Wind mag mit einem Lasso eingefangen werden,
Sonne und Mond mögen zur Erde fallen,
aber das Resultat von Karma ist unausweichlich. "

Es ist daher wichtig, das Gesetz von Karma zu verstehen, auf die Ursachen zu achten und zu versuchen, diese auszuschalten anstatt die Wirkungen zu bek ämpfen.

Zusammengestellt aus dem Buch von Khenpo Könchog Gyaltsen Rinpoche "Auf der Suche nach dem Reinen Nektar des Langen Lebens".

Aus Rundbrief 2/2003