Vajrayogini2Anila

Die Praxis des Deva (tib. Yidam)

Allgemeine Erklärungen

Buddha Shakyamuni, der historische Buddha unserer Zeit, war der vierte Buddha dieses Weltzeitalters, in dem eintausend Buddhas erscheinen. Er gehört zu den drei Buddhas, die das Vajrayana  lehren. Früher wurden die Belehrungen zur Praxis des Deva  äußerst geheim gehalten und sorgfältig gehütet. Sie waren nicht allgemein zugänglich und diese Lehren wurden nur wenigen ausgewählten und besonders guten Schülern erklärt. Deshalb ist es äußerst kostbar, von einem erfahrenen Meister die notwendigen Übertragungen und Unterweisungen zur Praxis zu erhalten. Nachdem man die Einweihung (tib. Wang), die Übertragung zur Rezitation (tib. Lung) und die Erklärungen zur Praxis (tib. Thri) erhalten hat, übt man die Meditation entsprechend den Anweisungen des spirituellen Meisters aus. Da die Funktionen des Deva sehr komplex sind, unterscheiden sich die Erklärungen zu den Anordnungen usw. in den Texten. Auch hier können wir nur einige Aspekte dieser tiefgründigen Vajrayana-Methode erwähnen.

Allgemein verkörpert ein Deva den vollkommenen Buddha, wie er von einem gewöhnlichen Wesen auf einer bestimmten Entwicklungsstufe wahrgenommen werden kann. So gibt es friedvolle oder zornvolle Formen, um den unterschiedlichen Veranlagungen der Schüler zu entsprechen und die Vielfalt von Anhaftungen zu reinigen. Es sind Manifestationen des Sambhogakaya , die an Hand eines Meditationstextes (Skrt. Sadhana ) visualisiert werden. Jede „Meditationsgottheit“ kann zu einem Deva werden. Dabei stellt man sich selbst in dieser reinen Form vor. Dies ist ein Hilfsmittel, das an das weiter entfernte Ziel der Befreiung heranführen soll. Der Deva ist die besondere Gottheit bzw. der Führer des Praktizierenden, der untrennbar mit ihm verbunden ist und ihn zur Erleuchtung bringt. Der Geheime Deva ist die Meditationsgottheit, deren Identität anderen gegenüber nicht enthüllt wird. Dadurch verstärkt sich der Segen der Praxis.

VajrayoginiDie Praxis des Deva gilt als wirksames Gegenmittel gegen die tief verwurzelte Anhaftung an die Welt der Form und der Sinneseindrücke und gegen die Unwissenheit in Bezug auf die Bestehensweise der Phänomene. Gewöhnlich hat man eine starke Neigung, alle Phänomene für wahrhaft existent zu halten. Als Gegenmittel visualisiert man in der Erzeugungsstufe (tib. Kyerim) alles als den reinen Buddha-Bereich des Deva, alle Lebewesen als Gottheiten, und alle Klänge als den Klang des Mantra. Dadurch, dass man sich die unreinen Erscheinungen in ihrer reinen Form vorstellt, überwindet man die Anhaftung an falsche Vorstellungen und Konzepte von rein und unrein. In der Vollendungsstufe (tib. Dzogrim) erkennt man den Charakter der Erscheinungen als Illusionen, die wie Wolken, Echos oder Reflexionen in einem Spiegel sind.

Indem wir uns auf den Deva als „Schutz des Geistes“ stützen, können sich also falsche Sichtweisen auflösen und wir gewöhnen uns an reine Vorstellungen. Durch die Übung der aufbauenden und vollendenden Stufe der Meditation machen wir uns mit der Bestehensweise der Erscheinungen auf der relativen und absoluten Ebene vertraut. Dies schließt auch die Meditation auf Kanäle, Winde und Tropfen (Tsa, Lung und Thigle) sowie die Stufen des Entstehens und Vergehens (Geburt und Tod) ein, die in einer ausführlichen Praxis enthalten sind. Durch das Verständnis der verschiedenen Aspekte der Praxis bewirken wir günstige Bedingungen für unsere weitere Entwicklung und in einem späteren Leben. So können wir durch die Praxis des Deva zahlreiche Qualitäten und Verwirklichungen entwickeln und für viele Wesen von Nutzen zu sein. Daher wird der Deva auch als Wurzel aller Siddhis  bezeichnet.

Später geben wir auch diese Stütze auf, um direkt in der reinen Natur des Geistes zu verweilen. Auch dazu ist es wichtig, Anleitungen durch einen spirituellen Meister zu erhalten, um alle falschen Vorstellungen vollständig aufzugeben und nicht vorübergehenden oder irreführenden Erfahrungen zu folgen. So ist die Praxis des Deva eine wichtige Stufe zur Vorbereitung auf die Verwirklichung von Mahamudra  oder Maha Ati (Dzogchen) , die Essenz aller Dharmas. Die beiden wichtigsten Devas der Kagyü-Traditionen sind Chakrasamvara (tib. Khorlo Demchog) und Vajrayogini (tib. Dorje Naljorma). Im tiefgründigen fünfteiligen Mahamudra-Pfad der Drikung-Kagyü-Tradition ist die Praxis von Chakrasamvara der zweite Teil , gefolgt vom Guru Yoga der Vier Kayas, der Praxis der Mahamudra und der Widmung.

In unserem Buch „Der fünfteilige Mahamudra-Pfad (DKV 2004)“ heißt es:

Der tiefgründige fünfteilige Pfad der Mahamudra ist die Vollendungsstufe des Mutter-Tantra . Deshalb muss man, wenn man die Erzeugungsstufe in der Deva-Meditation praktiziert, auch das Mutter-Tantra kultivieren, in diesem Fall das natürliche Chakrasamvara-Tantra mit einer männlichen Gottheit. Wenn man die Vollendungsstufe praktiziert, muss man den Yoga der subtilen Tropfen, die vier Körper, die acht Zeichen, die Kanäle und Winde usw. entwickeln.

Zusammengestellt von Tändsin T. Karuna, 2008

Aus Rundbrief 1/2009